Nicht ganz so minutiöser Konzertbericht: Ausgang Ost im AZ Lüdenscheid
Ich musste tatsächlich 30 Jahre alt werden, um sowas zu erleben. Erleben müssen wohlgemerkt, nicht dürfen. Ca. 600 Konzerte in 7 Ländern hab ich hinter mir, aber sowas hab ich selbst in den ersten 5 Bandjahren, wo es wirklich scheißegal ist wo man spielt, nicht erlebt.
Das AJZ Lüdenscheid ist ein verfallener Hallenkomplex auf dem Bahnhofsgelände, den Punks von der Stadt überlassen, um dort ihr eiegenständiges kulturelles Wirken zu zu realisieren. Oder sie haben es einfach nur besetzt. keine Ahnung. Jedenfalls gibt es kein fleissend Wasser, man heizt mit Gasbrennern und E-Öfchen und der Strom wird von sonstwo abgezapft. Zum Aufspielen geladen sind 'Betrunken im Klappstuhl' (Verrücktenkollektiv), 'Die nackten Golfer' (jugendlicher D-Punk) und 'Ausgang Ost' (Selbstabfeierungstruppe). Die Attribute von BIK und AO kann man beliebig tauschen.
Kremer kutscht uns hin und bietet sogar an, zurückzufahren, es sei denn, die Pennplätze sind zumutbar. Angekommen werden Matratzen versprochen, und die Heizung im Schlafraum wird durch E-Öfchen garantiert. Gut, also flugs den Kopf abgeschraubt. Im Schnickschnackschnuck-Duell mit Phil von Betrunken im Klappstuhl erkämpfe ich uns die mittlere Spielzeit. Die großzügig geschätzten 20 Zuschauer (sowas hat man ja nicht alle Tage) haben eine besondere Show verdient, und so spielen wir mit komplett umgedrehter Backline (am vordersten Bühenenrand also ich am Schlagzeug mit dem Rücken zum Publikum und der Kollege hat beim Singen die Bühnenrückwand 15cm vor der Fresse).
Das Publikum gehorcht brav und holt sich sämtliche Sitzgelegenheiten wie Sofas, Sessel und Stühle vor die Bühne und hält sich ans Applausverbot. Wir ziehen den üblichen Schwachsinn ab und alles ist unserer Meinung nach sehr rund, bis der Kollege vollmundig den Scherensong ankündigt und uns der Veranstalter mitteilt, diesen politisch unkorrekten sowie sexistischen Song jetzt aber besser mal nicht zu spielen, das sei hier ja immerhin ein veganes Zentrum mit politischem Gewissen. Wir spielen also Knocking on heaven's door, nur mit dem Text des Scherensongs versehen und -schwupps- kriegen wir den Strom abgedreht.
Aha. Hallo? Ausgang Ost hat keinen einzigen politisch korrekten Song und wir haben immerhin eine halbe Stunde lang gespielt. Da hat sich aber jemand im Vorraus so richtig schlau gemacht. So als buchte ich Störkraft und merkte erst beim letzten Song, dass das ja ziemliche Nazischeiße ist. Bravo!
Nich unser Problem, man hat uns eingeladen für Spritkohle und Bier, und da der Kremer eh schon besoffen ist und nicht fahren kann, müssen wir wohl oder übel bleiben. Und hier schlafen. Geil, auf selbst aufzublasenden Luftmatratzen. Ich habe keinen Schlafsack und verkacke in meiner Survivaljacke auf der Couch, werde dann aber gegen halb 4 in absoluter Dunkelheit durch Erfrierungserscheinungen geweckt. Sollten hier keine E-Öfchen heizen? Oder Gasbrenner? Und warum funktioniert das Licht nicht? Aha, Strom ausgefallen, Gasbrenner leer.Also: ca. 0°C, stockfinster, bis der Kremer wach wird dauert das noch minimum 5 Stunden und das Klo befindet sich im Keller. Den Weg dahin muss man sich also durch das marode Hallengebäude in bestem Horrorfilmszenario mit dem Handydisplay freileuchten. Auf Zelluloid hätte das keine Blondine überlebt!
Irgendwie schaff ich es, wieder einzupennen und werde von Thomas und dem Kollegen geweckt, die lautstark die ersten Biere öffnen. 7.30h, guten Morgen. irgendwann wird einer der AZ-Gruppe wach, und der ist richtig gut gelaunt: 'Ihr seid ja immer noch hier! Und was sauft ihr mein Bier? Das muss ich bezahlen!'. Naja, wir haben immerhin noch keinen Cent Spritkohle gesehen, da muss man sich eben an Naturalien halten. Wir werden nicht gerade freundlich angewiesen, unseren Fahrer zu wecken und uns dann gefälligst SOFORT zu verpissen. Das kriegen wir auch immerhin innerhalb einer Stunde hin und schippern mit der Gewissheit, einen Wochenendabend so richtig schön vergeudet zu haben und bloß nie wieder nach Lüdenscheid zu fahren nach hause.
Wie gesagt - eigentlich eine Story die man Anfang 20 erlebt haben könnte. Aber bei mir kommt ja alles 10 Jahre später... CADDY 02/07