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Feuerwasser:
Punklomerat

Es ist Donnerstag der 21.01.2021, der Zeiger der Küchenuhr zeigt auf die 9. Es regnet und ein deprimierendes Grau hängt über halb NRW. Ich hänge in der Horizontalen und schaue RTL 2, als mein Telefon klingelt. Langsam bewege ich meinen mit Chips und Erdnuss-Locken vollgekrümelten Körper von der Couch, rücke mir den Bund meiner ausgeleierten Jogginghose zurecht und schlurfe in Richtung meines komplett vollgemüllten Esstisches, um auf das Displays meines Smartphones zu schielen. Wer mag das sein, so früh am Morgen? Wer stört mich in meiner Heimeligkeit, in der ich mich nun seit Beginn des Lockdowns befinde und aus welchem Grund tut dieser oder diese es? Das Display zeigt jedoch leider nur eines an: >Nummer unbekannt<. Verdammt nochmal, nicht schon wieder! Schon das zehnte Mal in den letzten drei Tagen, dass mich dieser Unbekannte nervt. Wer zum Fick ruft mich denn ständig mit unterdrückter Nummer an? Ist es meine Mutter, die nun endlich eine Antwort auf die zahlreichen Fragen erhalten möchte, die sie mir via Messenger geschickt hat und die sich alle einzig und allein darum drehen, wie mir die Socken, die sie mir zu Weihnachten geschenkt hat, gefallen? Oder ist es vielleicht mein Freund Mattes, der mir mal wieder davon berichten möchte, dass er seine Jointbaufertigkeiten dahin gehend perfektioniert hat, dass die fertig gedrehten Flinten kerzengerade auf seinem Tisch stehen. Dabei aber vergisst, dass er mir das bereits etliche Male erzählt hat und dass ich deswegen nicht ans Telefon gehe, wenn er anruft? Verdammter zugekiffter Vollasi! Vermaledeite nervige Mama! Ihr könnt mir alle gestohlen bleiben! Ich lege das Telefon vor mich hin und betrachte es eine Weile lang, wie es dort auf dem Tisch vibrierend seine Runden dreht. Irgendwann hört es auf und es herrscht für eine Weile wieder Ruhe und Frieden in meiner kleinen Welt. Einige Zeit später jedoch klingelt es an meiner Tür, ich bewege mich missmutig zur Gegensprechanlage und drücke auf den blinkenden Knopf mit dem abgebildeten Telefonhörer. Noch bevor ich etwas sagen, kann bellt mich ungebremst die Stimme von Fö aus dem Lautsprecher an:

Fö: Hömma Peter, was stimmt eigentlich nicht mit dir? Du Affengott! Wie oft muss ich dich eigentlich anrufen, bevor du mal an dein scheiss Telefon gehst? Jetzt musste ich bei dem Dreckswetter extra zu dir runter latschen!

Fuck, fuck, fuck, der Chef. Der hat mir grade noch gefehlt. Letztens erst hat er meinen Kollegen Dr_Lü-Ken_moderiert lang gemacht, jetzt bin ich wohl an der Reihe.

Ich: Ach Chef, ja äh, ich äh ich hab doch Urlaub!

Fö: WAS HAST DU? Ich glaub mein Schwein pfeift! Du sollst dich seit Tagen an deinem Rechner befinden und im Homeoffice arbeiten. Wer hat denn hier was von Urlaub gesagt?

Ich: Achso, ja ne is klar, da hab ich wohl was missverstanden.

Fö: Wäre ja auch mal was ganz Neues, wenn du Nase mal was richtig verstehst. Nun aber mal Butter bei die Fische, ich hab dir schon vor Tagen die Platte von FEUERWASSER zukommen lassen. Hassu die schon ausm Briefkasten gefischt? (Manchmal, wenn Fö besonders sauer ist, rutscht er sprachlich in diesen norddeutschen Slang ab).

Ich lüge: Ja klar, doch! Liegt hier, klingt super geil! N Brett und so ne!

Fö: Jetzt seier da nicht so dämlich rum, sieh zu dass du da was zu geschrieben bekommst. Die ist bereits im November auf unserem Label BAKRAUFARFITA RECORDS rausgekommen. Bald ist Review-Marathon und ich hab kein Bock, dass wenn die bis dahin niemand besprochen hat, dass da beim Marathon wieder die ganze Deppenbrigade aus der Redaktion drüber herzieht. Ständig landen die Platten von unserem eigenen Label bei dieser Verriss-Nummer.

Ich: Ja nu, da kann ich ja auch nix dafür, was holt ihr euch da auch immer für Schrottkombos ins Boot... Ich mein wasn das schon fürn Name? Feuerw....

Fö: WIE BITTE! WAS HAST DU DA GESAGT? ICH ZIEH DIR GLEICH DIE SYNAPSEN AUS DER STIRN! Das ist allerfeinster, angepisster Deutschpunk! Kommt halt 20 Jahre zu spät, aber ist trotzdem lupenreine Musik zum Ausrasten und Steine schmeißen. Das können die neuen "alten" Dritte Wahl werden. Da bekommt jeder sein Fett wech, egal ob Bullen oder Nazis und obendrein beackern die noch einige sozialkritische Grundfragen wie Glaube, Liebe, Hoffnung, Konsum und Herkunft. Is nicht zu stumpf und nicht zu kryptisch.  Ja, ja ich weiß, das is alles nich ganz neu, aber immerhin ist das Album ja auch über einen Zeitraum von elf Jahren entstanden. Trotz allem, das hätteste auch vor einigen Jahren ohne Bedenken auf die "Schlachtrufe BRD" Sampler packen können.

Ich: WIE LANGE HAT DAS GEDAUERT? 11 JAHRE? In der Zeit haben ja andere Künstler...

Fö: WAS WILLSU DAMIT SAGN?

Ich: Is egal.

Ich: Das mag ja alles wohl so sein, wie du... entschuldigung... Sie... das sagen, aber was soll ich denn dazu schreiben? Ich höre doch so gut wie gar keinen Deutschpunk mehr und waren diese Sampler nicht überall total verschrien?

Fö: Pappalerpapp, verschrien oder nicht, auf jeden Fall haben die sich besser verkauft als geschnitten Brot! (Ich hasse es wenn der Chef ständig mit diesen ausgelutschten Floskeln um sich wirft).

Fö: Ja meine Fresse, lass dir halt was einfallen. Überhaupt, was ist eigentlich aus "Support your local Scene" geworden? Die kommen immerhin aus Witten, das ist doch quasi gleich hinter deinem Garten. Los du Penner, fang an! Morgen hab ich den Scheiß auf dem Tisch! 4000 Zeichen. Minimum! COMPRENDE? Mach halt von mir aus irgendwie so im Gonzo-Stil und veröffentliche deine Notizen oder was weiß ich! Hauptsache da steht was davon drin, dass es die Platte als CD inkl. 16 seitigem Booklet und schwarz/weißem Vinyl inklusive Download-Code gibt. Ich hab mich bei der Urlaubsplanung für nächstes Jahr etwas weit aus dem Fenster gelehnt. Wäre gut wenn wir noch einige davon im Shop absetzen...  Immerhin, so sagt der Bönx, hat die Produktion der Songs wohl kaum was gekostet. Das ham die wohl alles ganz alleine aufgenommen. Nur den Feinschliff hat dann der Dings aus dem Studio da in Lübeck übernommen. Dafür klingt das auch echt ganz passabel. Oder nich?

Ich: Ja ne. Doch. Klar. Klingt super!

Fö: Und schreib auf jeden Fall, dass das Artwork voll geil geworden ist, das hat der Härp, dat is der Sänger und Gitarrist, eigenhändig mit der Bastelschere und nem Pritt-Stift zusammen gekleistert! Da fliegt dir das Blech bei wech, wenne das siehst! (er tut es schon wieder, aber immerhin ist er wieder beim Pott-Akzent angekommen, das heißt seine Wut scheint langsam zu verdampfen).

Ich: Ja ok Chef, is gut, mach ich! (hätte ich doch mal was Vernünftiges gelernt, dann müsst ich nu nicht mein Geld mit so nem Scheiß verdienen und hätte zu alledem vielleicht nicht auch noch so einen Tyrann als Chef)

Fö: Ok dann mach du ma, sieh zu dass dat nich so viele Tippfehler wie sonst immer hat, ich kann den Mist vorher nich Korrektur lesen, dat geht direkt online! Ich flieg morgen nach Dubai und muss noch Koffer packen. Da kann man momentan noch ohne Quarantäne für ein paar Wochen absteigen, das muss ich ausnutzen!

Ich: Ok Chef, is gut Chef, wird gemacht Chef! Schönen Urlaub denn! Bis die Tage Chef!

Fö: Danke du Pfeife! Tschau mit V und so nä!

Ich: Tschööö! (Während ich mich verabschiede, merke ich, dass Fö schon gegangen ist)

Angenervt und unmotivert wühle ich die Platte aus dem überfüllten Briefkasten, lege sie auf und setze mich an meinen Laptop und fange an zu tippen... 4000 Zeichen. Mann ey, der ist gut! Wie soll ich die bloß voll bekommen...

Peter 01/2021
Hörprobe:
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Feuerwasser - Punklomerat

Stil: Deutschpunk
VÖ: 27.11.2020, LP, CD, Bakraufarfita Records (Link)


Tracklist:

01. Schritt für Schritt
02. Taubstummblind
03. Auferstanden
04. Grau in Grau
05. Die Katze im Sack
06. Scheiss drauf
07. Hasserfüllt
08. Ohne Brief und letzte Worte
09. Gefreut
10. Das wird man wohl noch sagen dürfen
11. Ich glaube nicht
12. Märchen


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