Cage Band Battle: Night Fever, Xiao, Messerschießerei, lynchen, Pisscharge, Sick Times, Dreck weg, Choir Boys, 09.09.2023 in Leipzig, Conne Island - Bericht von Gerdistan
Cage Band Battle, 09.09.2023 in Leipzig
Eigentlich hätte ich am 7.9. unter ärztlicher Aufsicht von einer Wespe gestochen werden sollen. Das musste aber verschoben werden, da die Wespen noch nicht reif sind. Den freien Tag am Freitag habe ich aber trotzdem behalten und so kommt es, dass wir am Donnerstag Abend versuchen, nach Leipzig zu kommen. Leider hat in München jemand die Oberleitung gestohlen und deshalb müssen wir eine Stunde früher los, um 45 Minuten später dazu sein. Mit Dosenbier ist all das erträglich und nach Umstiegen in Donauwörth, Ingolstadt, Nürnberg und Leipzig Hbf kommen wir endlich in Connewitz an und müssen unseren Airbnb-Gastgeber aus dem Bett klingeln.
Der Freitag vergeht zunächst mit Sightseeing (Völkerschlachtdenkmal, siehe Bild 1, dann das Museum für Buch und Schrift in der Deutschen Nationalbibliothek - auch durchaus zu empfehlen). Danach flanieren wir durch den Leipziger Süden und informieren uns über schwarzweißkopierte DINA3-Plakate, was heute Abend in der Stadt geboten ist - es geht so tatsächlich besser als über das Internet. Die Wahl fällt aufs Kulturcafé Manfred in der Stö, hier gibts heute abend Punkquiz und eine Bondage Liveshow. Da muss man Bayern schon mal verlassen, um sowas erleben zu dürfen!
Aber erst mal noch ein kleines Nickerchen im Park und der Versuch, ob man auf einer Bierflasche eigentlich bequem liegen kann (Bild 2, Antwort: nein).
Beim Punkquiz machen wir wenig Stiche. Der Abend wird von einem LGBTQ+-Kollektiv organisiert und naturgemäß geht es viel um queere Bands/Musiker:innen etc. - ich habe zwar unlängst die Autobiographie von Jon Ginoli von Pansy Division gelesen, aber ganz so tief drin bin ich in der Materie dann doch nicht. Dann beginnt die Bondageshow, keine Ahnung wie lange das gedauert hat, über ne Stunde bestimmt, war sehr spannend.
Trotz der horrend teuren Bierpreise trinken wir noch einen letzten Absacker in der LiWi nebenan (dieser Satz ist mit einem Augenzwinkern zu verstehen), bevor wir bequem zu Fuß unsere Unterkunft erreichen.
Dann ist der große Tag des Cage Band Battles gekommen (Bild 3). Klar, tagsüber noch n bisschen Kultur, Stasi-Museum "runde Ecke", aber es soll schon um 19 Uhr losgehen und bei acht Bands sollte man da jetzt nicht mit viel Verspätung rechnen.
Nach einem Zwischenstopp im Späti/Delikatessengeschäft "Lazy Dog", in dem wir auch unseren Gastgeber wiedertreffen und schnell einen kleinen Pfeffi einnehmen, kommen wir kurz nach 19 Uhr im Conne Island an. Es ist gut gefüllt mit Menschen und, für die aus Augsburg bzw. Bayern gewohnten Verhältnisse, mit deutlich mehr Frauen. Man sagte mir hinterher, es seien auffällig viele Leute gewesen, die sonst nicht ins CI gehen. Ist doch schön, wenn die Szene ein bisschen vereint wird.
Wer das Conne Island von innen kennt, muss sich den Aufbau drinnen ungefähr so vorstellen (Fotos sind ja verboten, siehe Bild 4): Wenn man rein kommt, läuft man ja eigentlich mehr oder weniger gerade auf die Bühne zu. Jetzt sind aber im großen Zuschauerraum links und rechts zwei stabile Käfige aufgebaut, in beiden stehen ein Schlagzeug und Amps, außen dran hängen Boxen. Halleluja. Es ist noch relativ wenig los. Der Mischer, darauf angesprochen, wann es denn losginge, sagt, sobald mehr Menschen im Raum sind. Aufgrund des schönen Wetters kommen aber keine Menschen rein, so lange noch keine Musik spielt. Ein Teufelskreis! Das fällt ihnen auch irgendwann auf, und dann geht's los und schon tummelt sich die Menge im Innenraum.
Ein Moderator, der aussieht, als hätte sich Florian Altendorfer als Helge Schneider verkleidet, kündigt mit viel Charme die Veranstaltung an und droht jedem mit Rauswurf, der anfängt, Konfetti zu schmeißen. Eine kuriose Ansage, wie sich später herausstellen sollte.
Runde 1: Sick Times vs. Dreck weg
In der roten Ecke: Sick Times aus Roßwein (irgendwo zwischen Leipzig und Dresden), stilecht mit Corpsepaint bemalt, in der blauen Ecke "Dreck Weg" aus Leipzig. Sick Times spielen die ersten paar Songs, dann wird gewechselt. Das Publikum dreht sich hin und her. Sick Times spielen schnörkellosen 80s Hardcore, Dreck Weg kommen etwas punkiger daher. Beide Bands geben sich redlich Mühe beim Spielen, aber auch die andere Band in den Ansagen zu diffamieren - dies allerdings teilweise in so breitem Sächsisch, dass ich nicht alles verstehe. Beide Bands haben enorm Spaß und übertragen diesen ans Publikum, "gewonnen" haben für mich aber Sick Times, nicht wegen Corpse Paint sondern, weil sie einfach ein bisschen tighter spielen - die hämische Frage "habt ihr überhaupt geprobt?" zur anderen Band bringt das ganz gut auf den Punkt. Aber geil. Es fliegt Konfetti, egal in welche Richtung man guckt. Jeder Zuschauer hebt es bollenweise vom Boden auf und wirft es auf sich, seine Freund:innen oder die Band, die grad spielt. Zwischenzeitlich muss ein Song unterbrochen werden, weil zu viel Konfetti unter der Fußmaschine war. Wow! Nach einer Weile ist es dann vorbei und wir gehen nach draußen an die frische Luft, denn es ist natürlich ganz schön warm.
Runde 2: lynchen vs. Choir Boys
Vom Moderator als "der 1. FC Bayern lynchen" angekündigt, legen in der roten Ecke lynchen aus Leipzig los. Auch absoluter Knaller, die Sängerin macht richtig Druck. Zwischenzeitlich gibt's ein paar langsamere Passagen, und ich bin fast gewillt, den Choir Boys aus Berlin in der blauen Ecke den Zuschlag zu geben, als nochmal n bisschen aufs Gaspedal gedrückt wird. Die rote Seite glänzt mit handgemalten Papp-Tigern auf dem Käfigrand, die blaue Seite durch Spandex-Kostüme und Perücken. Die Chorbuben gehen etwas ins noisige, aber Fuß immer auf dem Gaspedal. Hier einfach ein klares Unentschieden. Beide Bands haben alles gegeben - auch wenn die Tiger relativ schnell umgeknickt oder ihrer Köpfe entledigt wurden. Ein Heimvorteil für die Leipziger:innen ist nicht erkennbar, das Publikum hat auf beiden Seiten Spaß. Es wird immer mehr Konfetti. Übrigens kein richtiges Konfetti, sondern so in Streifen geschnittenes Druckerpapier, das säckeweise vor die Bühne gebracht wird. Geschmacklose Witze bzgl. Stasi-Akten drängen sich auf, aber wir haben heute Nachmittag ja noch gelernt, dass die Akten zusammen mit Wasser geschreddert wurden und da nur braune Pampe rausgekommen ist.
Schnell noch ein frisches Ur-Krostitzer geholt und ab an die frische Luft.
Runde 3: Messerschießerei vs. Pisscharge
In der roten Ecke Pisscharge aus Hannover, in der blauen Ecke Messerschießerei aus Leipzig. Auf jeden Fall hier schon das kleine Finale, nämlich das Duell der besten Namen. Was Pisscharge für Musik spielen, ist den geneigten Zuhörer:innen ja schon anhand des Namens klar, Messerschießerei nennen ihren Musikstil "satanic punk" und erinnern mich irgendwie an Abfukk, vielleicht aber auch nur, weil mir ein großer Typ mit Glatze ins Gesicht brüllt. Beide Bands geben wieder alles, das Publikum watet knietief durchs Konfetti. Auch hier wieder ein klares Unentschieden, beide Bands geben einfach so dermaßen Vollgas, dass man D-Beat entweder hassen oder lieben muss, um sich hier für eine Seite zu entscheiden. Bei der Sängerin von Pisscharge bekommt man manchmal das Gefühl, dass das Konfetti für die Bands ein klein bisschen nervig sein könnte. Aber es wird durchgezogen. Nur Profis hier.
Runde 4: Night Fever vs. Xiao
Der eigentliche Grund für die lange Anreise: In der roten Ecke: Night Fever. This is copenhagen man, don't you understand? Aber eine skandinavische Band (jaja, Dänemark gehört nicht zu Skandinavien im engeren Sinne, geht woanders klugscheißen) reicht ja nicht, deshalb muss auch aus der schwedischen Hauptstadt jemand anreisen, und das sind XIAO in der blauen Ecke. Von denen hatte ich vorher noch nie gehört, aber jetzt bin ich Fan.
Das Publikum ist vielleicht schon ein bisschen satt, keine Ahnung, vor der Bühne ist merklich weniger los. Auch Konfetti fliegt kaum noch, vielleicht wurde in der letzten Ansage von Florian Schneider auch dazu aufgerufen, mit dem Konfetti aufzuhören, die haben wir wohl beim Biertrinken-und-auf-den-Skatepark-glotzen verpasst. Jedenfalls geht es jetzt vor den Käfigen etwas gesitteter zu, innendrin wird aber dafür komplett ausgerastet. Ich stehe etwas weiter hinten, weil kurze Ausflüge in die Mitte mir schon deutlich zu pogig waren, und sehe den Sänger von Night Fever (natürlich mit Goldkettchen) immer wieder über den Käfigrand herausblitzen, wo er sich gerade die Lunge aus dem Hals bölkt. Night Fever bestehen ja angeblich, weil die Mitglieder alle in anderen Bands waren, und dann mal in einer neuen Band "nicht so schnell" spielen wollten. Das ist angesichts der dargebotenen Hardcore-Punk-Granate natürlich eine ganz brillante Anekdote. Die Sängerin von Xiao sieht man überhaupt nicht, hört man dafür umso mehr. Was für ein absoluter Knaller. Fast blackmetalartig schießen einem die Drums in die Fresse, während die Gitarre von Stakkato zu langsamen Breakdowns wechselt. Hammergeile Band. Würde ich mir wieder angucken.
Die letzte Runde geht an Xiao, weil Night Fever zu wenig von der "First Blood" EP gespielt haben. Heilige Makkaroni, was für eine Show heute. Ob es noch eine Abmoderation gab, kann ich meinen Gehirnwindungen gerade nicht abpressen.
Also raus und nach einem letzten Besuch der Unisex-Toiletten die mitgebrachte Stulle verzehrt (wir wollten keine Essensreste im Airbnb lassen und haben alles, was noch da war, auf ein Brötchen gezimmert). Der Weg nach Hause führt kurioserweise durch ein Villenviertel, wie viele Konzertbesucher da wohl normalerweise absichtlich oder unabsichtlich hinkotzen? Man weiß es nicht.
Aufgewacht, das ganze Airbnb ist voll Konfetti. In jeder Körperöffnung ist Konfetti. Unser Gastgeber hatte allerdings gestern Abend schon zahlreiche Konzertbesucher:innen mit Konfettiresten in den Haaren gefunden und ist weder überrascht noch sauer über die Mengen Konfetti in seiner Bude. Korrekter Typ. Der Tag vergeht mit Auskatern und dem aberwitzigen Plan, mit dem Deutschlandticket nach Hause zu fahren. Schnell noch am Bahnhof eine Poutine eingeatmet (ziemlich gutes Katerfrühstück) und dann ab in den Zug. Wir sind zum Glück früh genug da, um Sitzplätze zu kriegen, können uns dafür aber die nächsten vier Stunden keinen Millimeter bewegen, weil es so arg voll ist. Wir passieren insgesamt 52 Bahnhöfe, müssen aber dank des Langstrecken-REs von Leipzig nach Nürnberg nur einmal und zwar ebendort umsteigen. Insgesamt sind wir genauso schnell wie auf der Hinfahrt mit dem Oberleitungsschaden.
Fazit: Der absolute Wahnsinn. Tolles, ereignis- sowie lehrreiches Wochenende mit ganz vielen neuen Erfahrungen. Leipzig, ich komme wieder!