Circus Flic Flac X-Mas-Show 2025/2026 in Duisburg

Willkommen zu einer neuen Folge von "Punks in Gefahr"!

Das war mal eine Artikel-Reihe eines Fanzines, das längst nicht mehr existiert und dessen Namen ich vergessen habe [Einschub: glaube es war das Out of Order], also adaptieren wir das einfach mal ganz frech. Eine Artikelreihe über Erlebnisse außerhalb der Punk-Komfortzone. Tolles Konzept!
Thema diesmal: Ein Junggesellinnenabschied! Nee quatsch, also auch, aber eigentlich war das nur die Rahmenhandlung. Es verschlägt uns nämlich zu einer Veranstaltung, von der man eigentlich erwarten könnte, einigermaßen human abzulaufen. Vorhang auf für:

Circus Flic Flac X-Mas Show in Duisburg Saison 2025/2026!
oder auch: geht da besser nicht hin.

Ein Zirkus in dem keine Tiere gequält werden, what could possibly go wrong?

Es fing noch irgendwie amüsant an, nämlich mit der Quest, den Eingang zu finden. Der Zirkus scheint in einer Parallelwelt stattzufinden, in der die Autolobby endgültig die Herrschaft über den Planeten übernommen hat. Fußwege zum Zirkuszelt gibt es nämlich nicht oder sind durch Bauzäune abgesperrt. Da wir nicht mehr so gelenkig sind, um einfach mal über 2 Meter hohe Zäune rüber-flickflacken zu können, müssen wir uns auf der fußgängerweg-losen Zufahrt an Autokolonnen entlangschlängeln und auf dem Parkplatz auf der StVO bestehen, um den Eingang zu erreichen.

Empfangen werden wir von einer Wand aus Popcorn-Duft und trockener Heizungs-Luft. Flic Flac ist nämlich ein Fest für alle Sinne! Außer Popcorn kann man noch Nachos fressen, oder, wie der mir unbekannte Herr neben den WCs, einen Clown: "Keine Aufteilung in Männer- und Frauen-Klos, hier darf jeder: Mann, Frau, divers, pervers, IQ-ABC oder wie das heißt."
Trifft nicht meinen Humor und ist damit ne gute Vorbereitung auf das, was uns in der Manege noch erwartet. Danke, unbekannter Herr!

So, nehmen wir mal unsere Plätze ein. Das ist eigentlich easy, die Blöcke, Reihen und Sitze sind ja nummeriert. Aber ihr kennt das Problem vielleicht von älteren Zügen und Kinosälen: Bezieht sich das Schild mit der Sitzreihen-Nummer jetzt auf die Reihe vor oder hinter dem Schild? Wir sitzen glücklicherweise richtig, aber um das nun Folgende so richtig zu genießen, fehlt uns dann doch das Popcorn. Um uns rum brechen tumultartige Szenen aus, als Fremde auf den eigenen Sitzen vermutet werden, es wird wild durcheinander diskutiert, die Stimmung ist kurz vor Massenschlägerei. Nur das eigenständige Abzählen der Reihen sorgt noch ein wenig für Deeskalation ("ah stimmt, Reihe 0 gibt es nicht" - bisschen foreshadowing auf das was später kommt). Das Zirkuspersonal hat alle Hände und Beine damit zu tun, den Leuten die Sitzreihen zu erläutern, überall sieht man Grüppchen die eine Reihe höher oder tiefer wechseln müssen, die Veranstaltung startet schließlich mit 10 Minuten Verspätung.

So, es geht los!

Der Moderator (nennt man das Zirkusdirektor?) hat so Karnevals-Slang drauf und ist ganz military style gekleidet in einem Camouflage-Hemd, auf dessen Rücken der Schriftzug "Make Love Not War" prangt. Das alleine finde ich schon absurd, aber das Anarchie-A auf seinen klobigen Stiefeln setzt dem noch die Krone auf. Seine Sprüche und Witze und Sätze sind immerhin weitestgehend familientauglich, aber eben von der Kategorie "alle lachen aus Höflichkeit". Wobei, stimmt auch nicht, vermutlich finden 90% der Leute hier das tatsächlich witzig und wir sind einfach humorlos. Wie unsere anschließende Recherche ergab, arbeitet er für eine Versicherung und RTL-Zuschauer*innen kennen ihn als "Versicherungsdetektiv" aus dem TV. Das erklärt die vielen Versicherungs-"Witze" und vermutlich auch, warum sich sonst niemand darüber zu wundern schien.

Aaaaber dann, und an dieser Stelle muss ich nochmal betonen dass es sich bei diesem Artikel nicht um Satire, Überspitzung oder einen Fiebertraum handelt:

...dann stolziert eine Horde Gestalten durch die Manege, alle irgendwie in "gefährlichen" Outfits wie Ledergürtel, zerfransten Hosen oder einem Helm der irgendwo zwischen Darth Vader und Wehrmacht-Stahlhelm liegt. Sie tragen entweder brennende Fackeln (Feuer in nem Zirkuszelt, voll mutig!) oder große Flaggen. Eine Deutschland-Fahne ist dabei, eine tschechische, und ansonsten sind das tatsächlich alle, haltet euch fest: Rammstein-Flaggen.

Bei den Gestalten handelt es sich um eine tschechische Rammstein-Coverband, die über weite Teile den Live-Soundtrack für den ganzen Zirkus darbietet.
Lasst das erstmal sacken. Das soll ein Zirkus für die ganze Familie sein?

Das will so gar nicht in meinen Kopf rein. Alle wissen doch um den Skandal rund um Till Lindemann, um die row zero, um systematischen Machtmissbrauch, Vergewaltigungsgedichte und was auch sonst in dem Zuge alles ans Tageslicht kam. Wann immer dieser Band irgendwie Plattform geboten wird, kann man das nur als eines verstehen: Als Statement, dass einem moralische Schuld und zerstörte Seelen egal sind. Flic Flac lädt sich hier selbst mit Schuld auf. Schuld, durch die Normalisierung der Musik im Rahmen einer "Familienveranstaltung" auch die Taten zu verharmlosen und die Betroffenen zu verhöhnen. Und auch finanziell profitieren Rammstein dank der GEMA und wer weiß, vielleicht auch noch durch zusätzliche Lizenzen. Wieder mal zeigt sich, dass der Begriff "Cancel culture" keine reale Entsprechung hat. Wenn es um Geld, Ruhm und größtmöglichen Effekt geht, wird nicht gecancelt, da wird dem Beschuldigten weiter gehuldigt und sich hinter dem "der wurde doch freigesprochen"-Mantra versteckt. Aber erstens: Es war kein Freispruch, das Verfahren wurde nur eingestellt. Und zweitens, für mich der noch viel wichtigere Aspekt: Es geht hier vor allem um moralische Schuld und nicht nur um juristische. Kunst von Künstler trennen, my ass. Gebt euch den Podcast und das Buch und die vielen anderen Artikel dazu und sagt mir dann, dass ihr immer noch ruhigen Gewissens Rammstein hören könnt.

Kurz recherchiert, dass Flic Flac ne längere Geschichte mit Rammstein hat: Schon 2007 wurden Lieder von Rammstein (okay, da war damals wohl kein Vorwurf zu machen) aber auch von Böhse Onkelz (wtf??) gespielt (Quelle: Wikipedia). Von 2020 bis 2023 gab es eine von Till Lindemann kuratierte und von Flic Flac durchgeführte "Freakshow" (Quelle). Flic Flac und Lindemann, da scheint doch ein Männerbund im Spiel zu sein, die nehmen es sich nicht übel, wenn mal jemand über die Stränge schlägt.

Zurück zum Zirkus. Die Darbietungen der Artist*innen waren größtenteils doch sehr beeindruckend. René Casselly am Todesrad ist echt krass zu sehen! Aber die Nummern bei der die Liveband spielte, konnten wir dann nicht so richtig genießen. Wie soll man auch für Artist*innen applaudieren, wenn man Sorge hat, dass die Coverband einen Teil der Props abbekommt? Was für Möglichkeiten haben wir überhaupt, zum Ausdruck zu bringen, dass wir mit dieser musikalischen Untermalung absolut nicht konform gehen? Außer uns erspähe ich gegenüber noch zwei Personen, die entschieden nicht applaudieren, als der Moderator zum Applaus für die Band aufruft. Hinter uns gehen ein paar Leute raus, als die Band am Ende gleich mehrere Stücke in Folge spielen darf. Ansonsten scheinen hier die meisten kein Problem damit zu haben.

Das ist dann wohl wieder die große Diskrepanz zwischen der "Mehrheitsgesellschaft" und der wohligen Blase, in der wir uns privat bewegen. Schade. Aber falls jemand plante, Tickets für diesen Zirkus zu holen: Denkt nochmal drüber nach.

Abschließender Disclaimer: Aus Dramaturgie-Gründen habe ich darauf verzichtet, zu Beginn schon zu erwähnen, dass wir kurz vorher auf der Homepage des Flic Flac von der Liveband lasen und dementsprechend ne Ahnung hatten, was uns erwarten sollte. Der Ticketkauf jedoch erfolgte, ohne dass auf Rammstein-Content hingewiesen wurde. Tickets zurückgeben geht natürlich nicht, also entschieden wir uns, hinzugehen, damit wir auch wissen worüber wir meckern.

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