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Donnerstag, 09.10.2025: Grillmaster Flash: Ein Nachruf



GRILLMASTER FLASH a.k.a. Christian Wesemann ist der ulkige aber auch ganz besonders coole Dude aus der Raucherecke. Der mit der Straßenschläue und den lässigen Sprüchen. Als Musiker und Bühnenperson mit der Jeanskutte und den Tom-Petty-Riffs irgendwo zwischen nachdenklichem Indie-Typ und Fußballkumpel. Vom Feeling her für immer 17 und irgendwie aber auch für immer 40. Durch irgendwelche Zufälle, höchstwahrscheinlich alkoholgetränkten Vertragsgesprächen und Überzeugungskraft, veröffentliche er nach einem selbstproduzierten Album 3 weitere Langrillen bei der Hamburger Indie-Institution Grand Hotel Van Cleef. Nun, nach all diesen Releases und unzähligen Live-Shows soll für Wesemann endgültig Schluss sein mit dem Alter Ego und der Musik? Wirklich? Für mich als Riesenfan seines Schaffens wäre das ein herber Verlust. Wie ich auf Grillmaster Flash aufmerksam wurde? Durch das Review seines Debut-Albums auf bierschinken.net und das eingebettete Video. Wie ich zum Riesenfan wurde? Ich erzähl's euch:



Stärkste Momente:
Hängen mit den Jungs

Grillis komplettes „Stadion“-Album ist gespickt mit Hits und Krachern und sehr wenig Totalausfällen. Im Grunde stimmt alles: Die Trackanordnung, die Anzahl der Songs und die Vielfalt der Lyrics von selbstreferenziell bis sehnsüchtig. Eine der größten Songwritingstärken von ihm ist das Aufgreifen trivialer Alltagssituationen junger Menschen im Vorort oder der tiefen Provinz. „Hängen mit den Jungs“ erklärt sich im Titel schon selbst. Es geht ums Rumhängen, ums jugendlich-sein und um das Unbeschwerte was diese Zeit umgibt. Musikalisch vermengt er die Zutaten die er eigentlich immer griffbereit hat: 80er Rockriff, einfache und charmante Reimschemata, hymnenhafter Refrain. Ein Ohwurm der so richtig Bock macht. Das Musikvideo ist übrigens fantastisch und bricht direkt das mackerige Boys-will-be-boys-Klischeebild, das der Songtitel einem in den Kopf setzt.

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Wo ich jetzt bin

Sein Album „Komplett ready“ ist wegen des ein oder anderen Nervsongs („Intellektuelligent“) leider nicht der große Wurf in Grillis Œuvre, doch die offensichtlichen Uptempo-Hits sind dafür umso überzeugender. Das zeigt bereits der Opener:

Genau wie im ewigen Evergreen „Ich war nie Rock'n Roll“ ist Grillis größter USP die Selbstironie und das Spiel mit klassischem Altherrenrockgetue. So lernte ich ihn kennen, mit seiner Jeanskutte, der Hornbrille, seinen flotten Indie-Punk-Hits und den Tom-Petty- und Bruce-Springsteen-Akkordfolgen. Fast gar comichaft kam er daher. Das machte mir alles solchen Spaß und ich konnte davon einfach nie genug bekommen. „Wo ich jetzt bin“ ist neben bereits erwähnter Rock'n'Roller-Persiflage Grillis brutalste Hymne auf sich selbst und trotz allem Augenzwinkern auch irgendwie ein melancholischer Blick auf die eigene Erfolglosigkeit. Ich will ihn jedes Mal, wenn ich den Song höre, in den Arm nehmen und sagen: „Du hast zwar nicht die Größe eines Thees Uhlmann erreicht, aber für mich bist du am Ende immer der Held im Deutsch-Pop-Indie-Game!“

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Die komplette Pinökel EP

NOFX und die Ärzte und viele andere haben es bereits vor dem Grillmaster gemacht: Ein kompakter und unpolierter Schnellschuss mit viel Energie und spontaner Wirkung. Pinökel ist Grillis Hommage ans impulsive Liederschreiben: Idee im Kopf behalten, aufnehmen, Zack, fertig, ab zum nächsten Track. 8 Songs zwischen Quatschlärm (Satanisten Party) und perfektem Meisterwerk (Am Tag als Udo Jürgens starb). Die Pinökel EP offenbart des Flashs großes Können wenn er nicht zu verkopft an die Sache rangeht.

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Als die Mädchen durch den Tisch traten

2021 gab Grilli in der Blüte der Coronazeit ein Online-Konzert so wie viele andere auch. Ich bezahlte virtuellen Eintritt, denn ich wollte meinen Freund mal wieder auf einer Bühne erleben, auch wenn's nur vor dem Laptopbildschirm sein würde. Eine Stunde später musste ich doch die ein oder andere Träne verdrücken, was nicht nur an der zermürbenden Situation lag, ihn nun doch nicht wirklich live gesehen zu haben (um am Ende der Show eine oder dreißig Kippen miteinander zu rauchen), sondern einfach auch an seiner Gabe, packende Lieder zu schreiben. Und das nicht nur textlich. Einen anständiges und ergreifendes Fußballlied zu verfassen ist ca. 95% aller Musiker*innen die sich daran versuchten, nicht gelungen und mir fallen gerade einmal 2 Stücke ein die respektvoll und erwachsen mit dem Thema Fußballkultur umgehen. Da wäre einmal die Liga der gewöhnlichen Gentlemen mit der bedingungslosen Hymne aller Sportromantiker*innen „Nimm mich mit zum Spiel“ und Grilli mit seinem Tribut an die Frauenfußballmannschaft seines Herzensvereins SV Werder Bremen. Es geht um Fußball und es geht auch ein bisschen um Punkrock und es wird ein magischer Abend nacherzählt, den man sofort vor Augen hat, denn Grillmaster Flash schafft es nicht selten, durch ein-zwei Textzeilen und einen schmissigen Reim umgehend ein kristallklares Bild im Kopf zu schaffen. 2023 war es endlich soweit: Grilli besuchte mich in Cannstatt wo ich zu diesem Zeitpunkt noch wohnte und wir gingen gemeinsam zum Spiel. Es regnete in Strömen und der VfB verlor gegen den SV Werder zu Hause mit 0:2. Seinen Verein kann man sich nicht aussuchen, seine Lieblingskünstler schon.

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Grillmaster Flash & Thees Uhlmann spielen gemeinsam Korn & Sprite

Ja, Grilli wirkt manchmal schon ein bisschen wie der lustige Klassenkasper im Grand Hotel Van Cleef. Der ulkige Gagvogel den man halt auf dem Label hat weil man mit dem so geil saufen gehen kann und der immer so Knallersprüche rauskloppt. Zähneknirschend nimmt man es dann halt hin, dass die ein oder andere Show wegen schlechtem Vorverkauf doch nicht stattfinden kann oder die Platte in der Presse nicht genug Aufmerksamkeit bekommt. Das ärgert sicherlich das Label, aber mich als überzeugten Fan ärgert die Ignoranz der gesamten deutschen Bevölkerung noch mehr.

Dabei hat der Grilli oftmals ein kluges Händchen und korrektes Timing in Bezug auf seine Ideen und auch seine Musikbusiness-Beziehungen bewiesen. Zu sehen ist dies in einem Live-Video, in welchem er Thees Uhlmann und seinen Tomte-Hit „Korn und Sprite“ wieder zusammenführte. Wäre Gänsehaut nicht so ein inflationäres Kartoffelattribut, ich würde es in Verbindung zu dieser Aufnahme gebrauchen.

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Grillmaster Flash auf der Bühne

2017 durfte ich Grillmaster Flash persönlich kennenlernen und am selben Abend auch noch musikalisch supporten und das auch noch im Juha West in Stuttgart. Alles daran war geil. Nach dieser erleuchtenden Begegnung auf und neben dem Platz suchte ich jedes Grillmaster-Flash-Konzert auf wenn ich konnte. Ich sah ihn gemeinsam mit Madsen im LKA Longhorn, Solo im Club Cann (mehrmals), als Support von Kapelle Petra und auf einem Stadtfest. Mal waren es hunderte, mal 30 Leute die ihm lauschten. Grilli gab immer alles! Und das soll keine Rock'n'Roll-hard-working-man-Koketterie sein. Ich hatte immer das Gefühl, egal was gerade vor der Bühne geschah, der Typ in der Jeanskutte hatte, mit oder ohne seine Band The Jungs, verstärkt oder mit Westerngitarre, immer Bock bis zum letzten Saitenschlag. Zwischendurch glänzte er durch seinen norddeutschen Akzent mit welchem man in Baden-Württemberg sowieso alle Herzen im Sturm erobert und lässige Anekdoten und dumme Witze hatte er auch immer am Start. Bei der Vorstellung, nie wieder ein Grillmaster-Flash-Konzert zu erleben, dreht es mir völlig den Magen rum und die Seele schmerzt. Das kann und darf es noch nicht gewesen sein.




Undichteste Grilli-Momente:
Der Name: Ich glaube insgeheim weiß Christian Wesemann selbst, dass er sich durch die Wahl und vor allem das Festhalten am Namen GRILLMASTER FLASH keinen Gefallen getan hat. Ich ertappte mich selbst beim Vernuscheln des albernen Pseudonyms, wenn ich irgendjemandem das Schaffen von Grilli näherbringen wollte, keinem Menschen ist es zu verübeln wenn er dahinter eher parodistische Partymucke à la Weird Al oder JBO vermutet. Ich kann mir auch kaum vorstellen dass ich der einzige war, der ihm offen gegenüber seinen Argwohn kommunizierte – Lag es an punkiger Unbelehrbarkeit oder einfach nur am künstlerischen Sturkopf? War es am Ende sogar ein Faktor für ausbleibenden Erfolg? Vielleicht hätte es im Verlauf der Karriere den einen Zeitpunkt gegeben, zu welchem er sich wenigstens einfach nur noch Grilli hätte nennen können, das wäre mitunter aber auch nicht weniger quatschig gekommen. Naja, was soll ich sagen, ich nenne mich als Musiker seit Jahr und Tag Autobot. Auch nicht besonders cool.
The nail in the coffin? „Schuster bleib bei deinen Leisten!“ wollte man Grilli zurufen, als er die Idee zu seinem Album „Flash Metal“ kundtat. Hier wird vor allem eines klar: Grillmaster Flash ist ein hochbegabter Musiker und sicher auch ein Fan der Mucke die er selber macht und aller überschauberer Einflüsse, die da in den letzten 100 Jahren eingerührt wurden. Er ist allerdings weder Nerd noch Musikhistorier. Gerüchte besagen, dass die einzige Metalband die er jemals intensiv verfolgt hat, Iron Maiden sind. Iron Maiden sind toll und wichtig, keine Frage, aber Iron Maiden sind nicht die einzige Metalband der Welt. Vor allem ist Heavy Metal in all seinen Ausprägungen und Facetten so unglaublich vielseitig dass sich sogar die belesendsten und verrücktesten Schwermetaller*innen an einem Album die Zähne ausbeißen würden, welches dem ganzen Genre und seiner Lore huldigen möchte. Hinzu kommen unglückliche Entscheidungen wie bspw. Die Umsetzung des Cindy-und-Bert-Krachers „Der Hund von Baskerville“. Dieses kultige Stück nicht als das was es ist wiederzugeben, nämlich eine eingedeutschte Version des Black Sabbath Fetzers „Paranoid“, sondern eine schleppende Düsterrockvariante gemeinsam mit Bela B. aufzunehmen, wirkt leider wie die totale Ressourcenverschwendung. In der Grundidee und auch beim ersten Hördurchgang verhielt ich mich noch wohlwollend, mit größerem zeitlichen Abstand wünsche ich mir zum Abschluss lieber ein Album mit 10 typischen Uptempo-Indie-Rock-Songs in G-Dur. „Flash Metal“ ist demnach eher ein „Music from The Elder“ als ein „Reign in Blood“.


Fazit:
Dass es Grilli trotz all seiner Hartnäckigkeit und seinem goldenen Händchen für tolle Geschichten, gekleidet in eingängige Gitarrenmusik, nicht gelungen ist, aus der Indie-Pop-Rock-Regionalliga in Profigefilde aufzusteigen, ist einzig und allein unsere Schuld. Es ist eine Schande, denn Grillmaster Flash ist einzigartig und niemand sonst hat es in den letzten 20 Jahren geschafft, so viel Kredibilität und Augenzwinkern in melancholische Rocksongs zu fassen. Einem Marcus Wiebusch, beispielsweise, hätte nur ein Bruchteil der Wesemannschen Lockerheit sicher auch mal gutgetan. Vielleicht gibt er uns allen nochmal eine Chance und wir können bald das große Comeback eines echten Originals feiern, seine Platten kaufen und unseren Freund*innen und Verwandten seine Songs vorspielen und so unser Versagen besser spät als nie wieder ausbügeln. Grilli, ich werde die Stellung halten!


honorable mention:
Grillis Anekdote in unserem Buch „ABENDKASSE - Eure schlimmsten Bühnenstorys“ ist eine Erzählung für die Ewigkeit und war immer standard bei jeder Lesung, die wir zum Release abhielten.




Lux 10/2025
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