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Sonntag, 29.03.2020: Der Teller meiner toten Mutter (Achim Schlaffke)


Wir konnten den Gossenliteraten Achim Schlaffke dazu gewinnen, seinen weitreichenden Erfahrungsschatz mit uns zu teilen und uns fortan als Chronist des Lebens zu begleiten. Hier die erste Geschichte aus seinem Fundus!

Der Teller meiner toten Mutter

Verkochen soll es, das scheiß Gemüse. Verkochen, bis es schon beim ersten Kontakt mit Zahn, Zunge, Gaumen, eben dem gesamten Maul zu Brei zerfällt und der wohlbekannte Geschmack von heißem Wasser und Gewürzpulver meine Knospen aufblühen lässt. Der immer gleiche Fraß, einfach weil ich zu faul bin. Zu faul zum Schnibbeln, Pflücken, geschweige denn zur Aufzucht Marke Eigenbau. Ich bin ja sogar zum Kauen zu träge. Außerdem zu faul, mal etwas anderes zu essen, zum Arzt zu gehen und Herrn Wohltorf endlich mal eine reinzuhauen. Aber zumindest hab ich's geschafft, ihn aus der Garage zu werfen, das ist doch schon mal nicht Nichts. Endlich muss ich seine eingefallene Hartzfresse nicht mehr ertragen. Ich starre hinunter auf die leere Plastiktüte, deren Inhalt jetzt schon seit was weiß ich wie lange vor sich hin brodelt. „Festtagsgemüse“ steht dort verheißungsvoll geschrieben. In akkuratem Schreibschriftstil. Darunter ein „Serviervorschlag“. Das mir bevorstehende Kohlgelumpe notdürftig drapiert auf einem blitzsauberen Teller nebst einem Glas Rotwein. Schmackhaft, aber zu welchem Anlass und welchem Gast könne man DAS bitte ernsthaft servieren?
Ich erhebe mich, schleppe mich hinüber zum Topf. Piekskontrolle mit der Gabel. Aha, Brokkoli, Möhre, sogar Blumenkohl geben keinen Widerstand während ich sie gnadenlos absteche. So soll es sein, also raus aus der Sole und dann rein in den Mund und in den Schlund. Hinab mit dem Zeug. Da soll sich schön mal mein Magen mit rumärgern!
Missmutig greife ich zu Muttis altem Teller. Eine rosarote Porzellanpracht, wahrscheinlich Jugendstil o.Ä., verziert mit allerlei Schmörkel, welche meiner merkwürdigen Festtagsmahlzeit immer einen so schönen Rahmen verleihen. Dieser Teller macht aus meinem Mittagessen ein richtiges Gemälde. Ich hatte tatsächlich schon mehrere Male überlegt das Gemüse auf dem Teller mit Klarlack richtig festzupappen, eine Woche das Ganze ziehen zu lassen und mir das Kunstwerk dann an die Wohnzimmerwand zu nageln. Zum Glück ist es so weit ja noch nicht gekommen.
Leider stinkt Muttis Tellerchen immer noch erbärmlich nach Wohltorfs alter Scheiße. Buchstäblich seiner Notdurft, seinem Giftkot, seinem gesamten Inneren. Ich fasse es nicht. Schluss mit lecker Picheln in Achims Garage. Für den Herrn Nachbarn heißt es jetzt: Draußen bleiben, Briefe schreiben! Da kann er noch so ein armer Willi sein mit seinen Stützstrümpfen und der kaputten Dichtung untenrum.
Es war ja nicht alles schlecht. In den drei Jahren, die wir (zumindest im Sommer) beinahe täglich bei mir in der Garage gemeinsam Radio hörten, gab es bestimmt auch gute Tage. Einmal kam uns Wohltorf junior besuchen und einmal, ich glaube sogar an Weihnachten, schenkte mir der Experte Wohltorf seine alte Kassettensammlung. Sternstunden, die hatten viel Schönes. Ich seh ihn noch sitzen an seinem immer gleichen Platz auf Muttis breitgefurzten Sessel zwischen den Weinkisten und dem Schraubenregal. Da saß er, ausladend wie er nun mal ist. Ein kümmerlicher Stummel voller schwarzer Krauser zwischen den orangenen Fingerkuppen. Tränensäcke. Kein Mensch mit Tränensäcken, sondern Tränensäcke mit Mensch dran. Sie haben längst die obere Kaste im Gesamtorganismus für sich beansprucht und Wohltorf unterwirft sich bereitwillig ihrer harten Knute. Wer das einmal gesehen hat, dem bildet es eine hörnerne Schablone auf der Netzhaut.
Mir war bewusst, das mein Nachbar zum Wasserlassen nicht jedes Mal die fünf Stockwerke zu seinem Thron emporstieg. Das ging beim besten Willen nicht. Sein Klo könnte genauso gut in China stehen. Daher pisste er vornehmlich irgendwo in den Hof zwischen die Mülltonnen. Manchmal ließ er zu später Stunde auch einfach laufen und dachte, ich bekäme sowohl das eine, als auch das andere nicht mit. Aus Nächstenliebe bot ich ihm irgendwann einen ollen Eimer an. Er solle doch einfach da rein pissen und nicht immer so peinlich vor der Tür herumschleichen. Natürlich tat er sich da keinen Zwang an und stellte ab da alle zwei bis drei Bier einen schönen Strahl in den Eimer. Wenn dieser voll war, brachte ich ihn raus und kippte ihn in der Mitte des Hofes den Abfluss hinab. Wir hatten ein Handtuch in die Wand neben dem Sessel genagelt, mit welchem Wohli seinen Schwanz abzutrocknen pflegte. Das Handtuch war sowas wie unser Running-Gag. Ganz vorzüglich amüsierte ich mich jedes Mal über Wohltorfs akrobatische Meisterleistungen, welche er mit dem Handtuch im Stande war zu absolvieren. Er zog es sich meist rhythmisch vorne rein und hinten durch die Kimme wieder raus, so dass wirklich ALLES schön sauber wurde. Es verblüffte mich, wie grazil er seinen aufgedunsenen mächtigen Körper doch verrenken konnte, wenn es um die Schwanzhygiene ging. Fast hätte ich damals vor Lachen selber in den Eimer gepisst, als sein Sohn während des Besuchs meiner Garage in irgendeine klebrige schwarze Tunke gefasst hatte und der gönnerhafte Vati ihm zur Säuberung den speckigen Pipilappen reichte. Ein Klassiker.
Tatsächlich hatte ich mich nie gewundert, warum Wohltorf eigentlich nie kacken musste. Immer nur Klein, nie Groß. Warum? Da hätte ich doch stutzig werden müssen. Naja.
Als ich vorgestern allein in der Garage saß, hatte ich eigentlich ziemlich gute Laune. Ich wurschtelte an der Modellbahn rum, versuchte die Figürchen etwas anders auszurichten. Da es langsam Sommer wurde, schwebte mir die Szenerie eines Familienurlaubs in der Alpenregion vor. Die Figur eines Kindes fiel mir unter den Tisch und ich wollte es grade aufheben, da fiel mein Blick auf Muttis schönen rosaroten Porzellanteller aus der Jugendstilzeit, welcher wie ein Deckel auf Rudis Pisseeimer lag. Ich meine, ich sagte noch sowas wie „was soll das sein?“ und nahm den Teller vom Eimer. Mit einem Mal fühlte ich mich umgeben von einer alles absorbierenden fauligen Brokkoliwolke. Es kam mir hoch. Im Eimer lag eine Kackwurst. Bestimmt 15 Zentimeter Länge, in einer Art T-Form angeordnet. Wohltorf, genannt Wohli, geborener Torffmann. Er hatte in letzter Zeit anscheinend auch viel Mais gegessen.
Zu seiner Verteidigung hatte er übrigens nicht viel zu sagen außer „Der Teller dichtet den Eimer lückenlos ab“.

Achim Schlaffke 03/2020

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