Human Abfall:
Form und Zweck
Da sich meine Mitbewohnerin zu viel Bierschinken-Terminarbeit ins Haus geholt hat, deren Deadlines allesamt längst überschritten wurden (Hallo Fö), und mich die Nachbarn schon fragen, ob sie denn noch hier wohne, weil sie in jüngster Zeit nicht mehr außerhalb unserer vier Wände anzutreffen gewesen sei, habe ich mir gedacht, ich könnte ihr ja mal zumindest eine (in Zahlen 1) der angestauten Platten-Rezis abnehmen. "Boah, echt jetzt?", fragte sie zögernd, um dann aber im gleichen Atemzug fortzufahren "Okay! Hier, die neue HUMAN ABFALL". Cool, dachte ich, die hab ich schon mal live gesehen und fand die echt Klasse. "Aber das ist ´ne einmalige Sache, den Rest machste schön selber!", rief ich ihr hinterher. Doch sie war schon zur Tür hinaus. In den strömenden Regen. Ohne Schuhe. Meinetwegen. Aber was sollen denn die Nachbarn denken?
Also an die Arbeit. Das Artwork des Albums "Form und Zweck" kommt schlicht daher. Auf grauem Karton ist eine Art geometrische Figur abgebildet, in der ich eine Treppe zu erkennen glaube. Würde jedenfalls zum Albumtitel passen. Nun aber den Tonträger aufgelegt und Volumen aufgedreht. Der Sound ist echt fett. Besser als bei ihrem vorherigem Debut-Album "Tanztee von Unten". Obwohl ich für meinen Geschmack erstmal ordentlich Bass rausdrehen und Höhen reindrehen muss. Dann kommt es aber richtig gut. Der gesprochene Gesang ist klar zu hören und klingt sehr natürlich, wenn auch etwas gepresst. Der Schlagzeuger spielt meist einen ruhigen Beat, unterstützt von elektronischen Klängen, wozu eine relativ unverzerrte und hallige Gitarre ihre Melodien spielt, oftmals auch schrill und disharmonisch. Die markanteste Eigenschaft der Stuttgarter ist sicherlich die Wiederholung. In den wirklich guten, sehr reduzierten Texten wird jede Zeile mindestens zweimal hintereinander gesagt. Im ersten Moment klingt es nach Einfallslosigkeit, aber schnell wird klar, das dies durchaus gewollt ist und gut ins Konzept passt. Denn auch die Musik besteht aus Wiederholungen, was zusammengenommen dem Sound eine schwebende Fülle verleiht, wodurch er sich wie eine dichte Sphäre aus anklagender Erkenntnis und melancholischer Tragik durch Gehörgang und Gehirn schiebt. Hab ich das gerade echt geschrieben? Ich meinte eigentich: Ey, voll (Post-)PUNK, ey!? Und nein, ich habe weder gekifft noch getrunken. Naja, ein Bier vielleicht.
Was die Musik aber nicht wirklich tanzbarer macht. Dazu empfehle ich definitiv etwas anderes. Trotzdem kommt das aber doch live noch wesentlich besser, da die visuelle Komponente des Auftretens von Sänger Flávio Bacon das Ganze nochmal unterstützt und intensiviert. Geht für mich alles so Richtung Goldene Zitronen, Messer und Kommando Sonnenmilch, wenn jemand noch einen Vergleich braucht. Fazit: Mukke ist sehr speziell, aber hört es euch mal an, oder besser, geht auf ein Konzert!!!
Plötzlich höre ich ein Klopfen, oder besser gesagt Hämmern, an der Wohnungstür. Ich drehe die Musik leise und begebe mich dorthin. Meine Mitbewohnerin scheint noch nicht zurück zu sein von ihrem "Spaziergang". Als ich öffne, steht die Nachbarin von oben vor mir. "Entschuldigung, wissen Sie eigentlich wie spät es ist? Und was ist das eigentlich für ein abscheulicher Lärm?". Ich schaue auf die Uhr. Sie zeigt 21.50 Uhr. "Sie haben ja recht", antworte ich, "ich sage meiner Mitbewohnerin Bescheid, dass sie ihre schwarzen Messen wann anders abhalten soll. Wir sind hier immer noch in Deutschland! Guten Abend!" Ich schließe die Tür wieder ohne sie eines Blickes zu würdigen. Dann öffne ich mir noch ein Bier, gehe zurück in mein Zimmer und drehe die Musik wieder lauter, etwas mehr noch als zuvor. Sollen die Nachbarn doch soviel denken wie sie wollen. Das Prinzip von Bierschinken kapieren die eh nicht. So wie ich.