Cyanide Pills:
Sliced and diced
Das auditive Gift, das die CYANIDE PILLS versprühen hat mich bereits 2011 mit ihrem unbetitelten Debüt infiziert und klang auch mit seinem Nachfolger von 2013 nicht ab. Ganz verloren war ich nach einem fulminanten Auftritt des Quintetts in der FREAK SHOW in Essen, bei dem Ambiente der Lokalität und Sound der Band wohl kaum an einem anderen Ort noch besser harmoniert hätten.
Nun haben die Retro-Götter aus dem britischen Leeds wieder zugeschlagen und hauen mit "sliced & diced" ihr drittes Album raus. Wieder gibt es eine feine Melange aus viel 77 Punk und ein wenig Powerpop und Rock ("government" & "laid-off"). Das erinnert oft, wie kann es auch anders sein, an die Erfinder dieser Genres: RAMONES, BUZZCOCKS, VIBRATORS, THE BOYS, THE DAMNED und den Rockern von SWEET, aber auch an jüngere Vertreter dieser Zunft, wie zum Beispiel THE BRIEFS und deren Nachfolger die CUTE LEPERS. Die fünf Briten schaffen es erneut mit unglaublicher Leichtigkeit und Perfektion, 18(!) feine Punkrock-Perlen abzuliefern, die nicht wie bloße Kopien von schon dagewesenen daher kommen. Die Hitdichte ist, wie schon auf den letzten beiden Alben, extrem hoch, so dass es mir schon fast schwer fällt ein paar Favoriten zu benennen. Beim ersten Hören stachen "i don´t remember" und "government" mit der anklagenden Textzeile „this fucking government is robbing me blind!“ heraus. Aber auch unter den anderen Songs findet sich keine wirkliche Niete. Hitverdächtig ist auch das auf den Punkt gespielte "still bored", das sich vom Namen her eigentlich besser auf dem letzten Album mit gleich lautendem Titel gemacht hätte. Viele Songs strotzen textlich vor Aktualität und passen wunderbar in die Zeit der Trumps und Erdogans. Bissig werden Gesellschaftskritik und Humor vermischt, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Paradebeispiele hierfür sind "i don`t remember", das sich in der Zukunft befindend fragt, ob sich noch jemand an die Zeit erinnert, in der noch nicht das Kriegsrecht galt. Und "Earthlings", in dem potenzielle außerirdische Besucher vor den Bewohnern des blauen Planeten mit Textzeilen wie "We destroy everything we touch. No one in the galaxy likes us much. We´re the Earthlings!" deutlich gewarnt werden. An fast allen Songs so viel Zucker dass es einem beinah die Gehörgänge verpappt. Besonders klebrig und poppig sind "say you will" und die RAMONES-Hommage "alone tonight". Kann mir keiner erzählen, dass das kurze Gitarren- und Schlagzeug-Intermezzo in der Mitte des Songs nicht fast 1:1 von den New Yorkern geklaut wurde. Mir fällt nur gerade nicht ein von welchem. Hier und da wird es auch etwas ruppiger, wie bei "stop & search" und "no strings attached" und "in the back of my car", so dass keine Langeweile und Eintönigkeit aufkommt. Insgesamt ein wirklich großartiges Album, das sich schon früh im Jahr auf macht, das 77 Punk Album 2017 zu werden.
Nach dem Abtreten von THE BRIEFS bleibt der Wanderpokal für die beste 77 Punk Band also weiterhin in Großbritannien und wer Anspruch auf ihn erhebt muss erst mal an den CYANIDE PILLS vorbei, denn die haben mit ihrem Gespür für Eingängigkeit, ihrem grandiosen Songwriting und ihrer spürbaren Spielfreude die Messlatte mit ihren neuen Songs wieder etwas höher gelegt. Wer auf besagten Sound und die oben genannten Bands steht muss dieses Album kaufen. Isso!