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Die Wände:
Im Flausch
Es folgt: Ein Interview mit dem pensionierten Postbeamten Achim Schlaffke zum Debutalbum IM FLAUSCH der Musikgruppe DIE WÄNDE.
Ich treffe ihn auf seiner Stammbank am Dortmunder Nordmarkt an einem regnerischen Donnerstagnachmittag.
Schlaffke ist Kenner der Band und Fan der ersten Stunde.
Was hat der 57 jährige Rockfan zur schmissigen Scheibe zu berichten?

Bierschinken: Achim, erzähl doch mal kurz, wann und wie du zum erste Mal mit DIE WÄNDE in Kontakt gekommen bist.
Achim: Ja die Berliner. Mit Berliner hab ich ja sonst nur zu Karneval was zu tun haha Spaß beiseite. Lass das so vor zwei, drei Jahren gewesen sein. Da hießen die noch GIRLIE und spielten ein kleines Konzertchen hier im alten Frisörsalon da drüben wo ich ja gern schön gesessen bin. Kannte das Demo schon was länger. Geil geil, aber arschaffengeil. Das war noch Mucke direkt aus der Hose tief ins Bein gegenüber.
Ja.. aber an dem Abend ham die Jungs mir dann vorm Konzert noch gesteckt dass die nix mehr von ihren Demotep wissen wollen und auch ganz andere Mucke jetzt machen.
Bierschinken: Weiterentwicklung, Pipapo. Kann auch alles ganz schön nerven. Vor allem wenn sich geliebte Bands „weiterentwickeln“. Dann werden wütende Trainingsjacken-Kiffer mit kaputt klingenden Stromgitarren und Texten über den Hass auf Gitarrenhändler und die Stadt Freiburg plötzlich zu kryptisch formulierenden Intellektos in feinstem Zwirn und Bücherregal im Arsch. Aua aua, das tat weh.
Achim: Nunja, das Alles-über-Bord-Prinzip ist ja meistens die beste Entscheidung.
War dann ja auch nur konsequent den Namen zu wechseln.
DIE WÄNDE passt gut zu diese neue Sachen. Mal schön nach vorne, mal so schwelgischwelgi. Klingen jetzt so als hätten die endlich angefangen harte Drogen zu nehmen. Wurd auch Zeit, die sind ja auch schon um die 30.
Bierschinken: Hat IM FLAUSCH deine Erwartungen denn erfüllt?
Achim: Ach du fragst aber auch eine Scheiße. Seh ich aus wie zwölf? Ist mir doch pieps.
Bierschinken: Ich finde die Platte unglaublich seltsam in mehrerlei Hinsicht. Der erste Song IM PARK UND IM CAFÉ kommt noch so einladend daher, so nett irgendwie. Wie ein Zugeständnis an das Leben. Aber ab da wird die Angelegenheit immer und immer grimmiger. Die Songstrukturen werden diffuser, die Texte düsterer. Ab und zu war es mir richtig unangenehm. Die Band hat ein echtes Talent dafür dir Unbehagen zu bereiten, um dich kurz darauf wieder auf den Schoß zu nehmen und dir sanft über den Kopf zu streicheln. Dabei werden so merkwürdige Formulierungen benutzt, zum Beispiel kommt das Wort „geschmeidig“ und Ähnliches vor.
Achim: Geschmeidig. Das sieht denen ähnlich. Also wenns eine Sache gibt, die ich geschmeidig nennen würde, dann den vollgekackten Gehweg vor meiner Haustür oder halt diese Kapelle mit ihren Merinowollhosen. Geschmeidige Pissnelken sind das, aber das wissen die auch. Das machts für mich ja so interessant.
Bierschinken: Trinkst du viel Achim?
Achim: Ich bin starker Biertrinker seit 1987. Davor nur Feierahms mal. Ab und zu schlägts aus in letzter Zeit. Neulich Nacht bin ich gegen 4 Uhr hoch in meine Bude. Im Treppenhaus hab ich mich dann gemault. Der Rucksack zerklimperte unter meinem ganzen Gewicht, drei Splitter haben sich durch Jacke und Hemd UND Feinripp in meinen Rücken gebohrt. Ich lag drei Stunden da im Treppenhaus, blutete wie ein abgestochenes Schwein. Konnte auch nicht schlafen wegen die Schmerzen. Morgens hat mich dann so ein Nachbar hochgehoben, als er zur Maloche musste. Ich hatte in meiner Not die ganzen Schuhe vor seiner Wohnungstür vollgepisst. Hat er zum Glück nicht bemerkt.
Bierschinken: Feste feiern wiese fallen, was Achim? Mal richtig tief ins Glas schauen ist ja auch ein guter Weg um im Flausch zu versinken. Also zurück zum Thema.
PROJEKTOR, also der zweite Song auf der Platte saugt die Hörerschaft nach einer Art Zugansage („Sehr geehrte Damen und Herren, herzlich willkommen auf unserer Reise in den Flausch und auf Nimmerwiedersehen“ oder so ähnlich) mit plötzlichem Gitarreninferno, beinahe Blastbeat (ist keiner, aber klingt fast so) und sogar einem Free Jazz Saxofon tief tief in eine Abwärtsspirale rein in den beschriebenen Flausch. Diesen würde ich als Unterbewusstsein der Hörer oder vielleicht weniger Freud*ish als dieses Chaos beschreiben, in das wir alle durch unser behütetes Arschlochleben irgendwann zwangsläufig hineingeraten.
Achim: Heul leise. Als ich Ende zwanzig war hatten wir ganz andere Probleme. Ich hab die scheiß Briefe abgestempelt und mich dann besoffen in irgendeine Parklücke gelegt mit der Hoffnung überfahren zu werden. Was weißt du Made darüber?
Bierschinken: Aber diese Platte handelt doch genau davon. Von der behüteten Misere und vom Umkommen vor Langweile. Ins Kino oder zuhause bleiben? Von Englein bewacht sein, sich behütet und träge durch die eigene Scheiße schleppen. Tag für Tag. Das toucht mich deep inside, das versteht mich. Im Herzstück des Flauschs, nämlich dem Track IM AUTOMATEN werde ich aufgefordert tief einzuatmen, die Luft anzuhalten und wieder auszuatmen. Und dann will er irgendwas für mich sein. Ich fühlte mich wie im Yogakurs, nur leider will da niemand irgendetwas für mich sein.
Achim: Schwachsinn, ihr wollt ALLE irgendwas für EUCH sein. ALLE! Das ist euer scheiß Problem und vielleicht euer Einziges. Deshalb sitze ich hier so gern, saufe und beobachte dabei das scheiß Café gegenüber wo sie alle sitzen und lächeln und sitzen und nicken und lächeln und sitzen und nicken. Wie beschissene bunte Ostereier an so einem abgewelkten Strauch in irgendeinem bekackten Vorgarten sitzen sie da. Und nicken und lächeln und wippen im Wind. Getragen von der Hoffnung damit für Irgendwen Irgendetwas zu sein. Das muss einen doch ganz kirre machen.
Bierschinken: Gewiss, das macht es auch und die Wände bringen das auf den Punkt. Die düsteren Basslines wie in SCHWITZEN oder FORMGEDÄCHTNISPOLYMER, Die Texte, diese Gitarren, die immer zwischen Melodie und ausbrechendem Chaos schwanken, diese Dynamik des Schlagzeugs. Der Moment in IM AUTOMATEN, wo der Verzerrer angeschmissen wird. Das macht einen einfach wahnsinnig, so klingts wenn irgendwas im Gehirn durchknallt. Ich glaube den Wänden ist hier mit ihrem ersten Album direkt etwas sehr Gutes gelungen, was mich aber auch mich selbst und meine zu mir gehörige soziale Blase aufs Schlimmste bedauern lässt. Zumindest bis dieses hymnische Ende vom FORMGEDÄCHTNISPOLYMER inklusive Chor einsetzt und mich raus aus dem Flausch hinein ins Vorher holt. Das Album verläuft quasi in einer schönen Kurve nach unten, was vielleicht Konzept war, eventuell aber auch nur zufällig passierte. Ich bin absolut geflasht vom Flausch, hörst du mir überhaupt zu?
Achim: Was? Achnee schulle, war grad komplett woanders. Hörmal Junge, hier hast du n Einser, geh mal bitte dahinten zur Bude und lass die Luft aus meiner Pulle, kannst dir auch eine mitbringen.
Bierschinken: Ok Achim, klingt fair soweit. Dann mach ich das.
mrks 03/2019
Hörprobe:
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Die Wände
Musikstil: Post Punk
Herkunft: Berlin
Homepage: diewaende.bandcamp.com
Die Wände - Im Flausch

Stil: Post Punk, Indie, Pop
VÖ: 08.03.2019, LP, Späti Palace


Tracklist:
01. Im Park & im Café
02. Projektor
03. Halten Sie Ihre Pläne geheim
04. 11:55 Uhr
05. Im Automaten
06. Schwitzen
07. Alles ist Klasse
08. Formgedächtnispolymer



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