Traurig in Europa:
Warum kannst du mich so nicht leiden?
Es muss vor ca. drei Monaten gewesen sein, als mir eine Schallplatte zukam, von einer Band, von der ich ein Mitglied entfernt kenne. Problem: Ich habe keinen Schallplattenspieler und Musik auf Spotify zu hören ist für mich kein Punkrock.
Daher habe ich die Platte Roger Matschbirne, seines Zeichens Bassspieler und Vokalist der Biersuppenband "Herrengedeck Royal", geschenkt und angekündigt, dass ich ihn mal besuche und wir dann gemeinsam die Platte hören und eine Review schreiben. Wie es der Zufall will, wollte meine Freundin Laura eines schönen Mittwochs einen Briefkasten aus Holz bauen (in Bienenwabenform), jedoch fehlte ihr die Stichsäge. Doch oben bereits erwähnter Roger Matschbirne hatte gerade eine parat. So holte Laura sich die Stichsäge ab und ich schaute bei Roger vorbei, um eben jene Platte anzuhören. Leider hatte Herr Matschbirne kein Bier im Haus, daher soffen wir irgendeinen widerlichen Sekt, von dem ich ordentlich Ranzenpfeiffen bekam. Da Rogers Freundin nicht mitkriegen durfte, dass er heimlich Besuch empfängt, musste alles sehr schnell gehen: Wir knüppelten die Scheibe auf den Plattenspieler und hörten sie uns genau einmal an. Ich protokollierte mit, was Herr Matschbirne zu den einzelnen Liedern sagte und brachte zugleich meine Eindrücke zu Papier. Dieses handschriftliche Protokoll werde ich nun 1:1 hier abtippen:
Song 1 - Kälteopfer:
Ich: Gläserklopfintro, dauert zu lang, bis es los geht. Schönes Gebrüll. Musik mir etwas zu langsam, dafür funky. Wird in der Mitte dann schön verrückt und schneller, ab dem Teil, wo die Heizungsrohre pfeifen. Erinnert phasenweise an so Spastic-Fantastic-Zeug. Zu lang! Hätte viel kürzer besser geklungen.
Roger Matschbirne: sehr experimentell, Effektschlacht, ich fühle mich wie in den frühen 80ern, 80er Avantgarde. Jetzt kommt da auch noch eine Trompete im Lied, hätte ich nicht als Opener gewählt. Aber ich kenne den Rest ja nicht einmal.
Song 2 - Hass im Netz:
Ich: Geht mir wieder zu langsam los, Keyboard? Viel Synthies? Mir wird das wieder zu lang rausgezögert. Aber irgendwie ganz originell/thrashig. Ist dann doch schnell genug aus. Passt.
Roger Matschbirne: Das einzige was Melodie macht, ist die Trompete, das andere ist ein einziger Loop.
Song 3 - Studiengebühren:
Ich: Endlich, österreichischer Dialekt, nett vertrackte Gitarren, Refrain ist melodisch zwar schwach, aber (Anmerkung: Hier endet der Satz auf meinem Protokoll. Keine Ahnung was das "aber" war). Weniger Trompetensoli hätten mir gereicht, aber man muss die Platte ja irgendwie voll kriegen.
Roger Matschbirne: Ja, das ist doch flott. Die Trompete macht hier sehr gut die Masturbation von Sebastian Kurz deutlich. Man könnte sagen, er dudelt sich einen.
Song 4 - Elektromobil:
Ich: Wieder recht vertrackte Instrumentation, etwas mehr auf den Punkt/ auf die Fresse wäre mir lieber, aber irgendwie hat das was Eigenständiges. Ich finde den Sänger geil.
Roger Matschbirne: Starke Nummer. Da lässt man sich doch gerne von der Warteliste von Tesla wieder runternehmen und kauft sich einen Diesel. Angemessene Kritik.
Song 5 - Steuertopf:
Ich: Erster Akkord klingt wie von einer Jazz-Avantgarde-Progressive-Platte. Wenn der Sänger versucht halbwegs zu singen, klingt er nicht so gut, wie wenn er brüllt. Definitiv zu langsam und zu viel Reggae. Langweilt mich. Es passiert nix. Es schleppt sich. Will ich nicht mehr wieder hören. Wann ist dieses Lied endlich aus?
Roger Matschbirne: Das erste traurige Lied von Traurig in Europa.
Song 6 - Hurensohn:
Ich: Intro nervt, geil, wenn es losballert! Warum klingt die ganze Scheibe nicht so? Ja, geile Nummer! So rumpelig und geballert/ gebrüllt muss Punk klingen. Könnte ein Szenehit werden!
Roger Matschbirne: Das war ein gutes Lied, das stimmt!
Fazit:
Ich: Schön politisch, teils verrückt/avantgardistisch. Kritik liest sich vielleicht ein bisschen verhalten, aber eigentlich ist nur ein schlechtes Lied drauf ("Steuertopf"). Mit "Hurensohn" ein echter Hit, und auch der Rest der Platte ist gut. Nicht sehr gut, aber gut.
Roger Matschbirne: Für mich ist das eher Kunst als Rock. Damit kann ich nicht viel anfangen.