Wow, nach dem echt guten
3. Album von Thees Uhlmann bereits die zweite deutschsprachige Pop-CD, die ich an dieser Stelle bespreche. Um es vorne wegzunehmen: Auch "Alles zerpflücken" von Schrottgrenze gefällt mir gut.
Da das Album nur zehn Songs hat, bietet sich eine Song-für-Song-Review an.
"Life Is Queer" ist der Opener, den man erwartet hat. Mittelschneller Rhythmus, ein klares Statement für die queere Szene (ich bitte eventuelle Unebenheiten bezüglich des Gender-Jargons zu entschuldigen, wenn ich die ein oder andere Begrifflichkeit nicht ganz korrekt verwende, soll das auf keinen Fall Absicht sein) und ein Refrain zum Mitsingen. Passt!
"Traurige Träume" ist vielseitiger politisch und hat einen nicht ganz so plakativ/eindeutigen Text. Darüber hinaus fällt das kurze Feature mit der Rapperin Sookee auf. Wiederum ein starker Track, vor allem der wirklich groovig-schmissige Rhythmus ist cool.
"Alles zerpflücken" thematisiert wiederum ganz ohne Metaphorik ungewöhnlichere Geschlechterrollen und ist ein Ohrwurm sondergleichen. Ein Hit, würde ich sogar behaupten. Der lässige Reggae-Beat passt perfekt. Anspieltipp!
Zwischenfazit: Die ersten drei Lieder von "Alles zerpflücken" sind wirklich gut! Geht das so weiter? Nicht ganz.
Sog, Morice, Solidarity City, Toter Kuss und Räume sind okay, größtenteils typisch Schrottgrenze, und zwar erinnernd an ihre vermutlich besten Zeiten ("Das Ende unserer Zeit").
"Morice" zum Beispiel ist einfach ein Lied über Liebe/Freundschaft, erinnert mich textlich durchaus an "Zwilling da draußen" oder "Fernglas", wobei die Ohrwurm-Melodien und die wohlige Melancholie dieser 15 Jahre alten Scheibe meiner Meinung nach nicht ganz erreicht werden.
Nach diesen fünf okayen, aber keinesfalls schlechten Songs, endet "Alles zerpflücken" mit "Das Kapital", einer Adaption (kein 1:1-Cover!) von Slimes "Deutschland muss sterben", mit Gastbeiträgen von Dirk und Elf, sowie "Nachglühen", das mich vom Stil an die meiner Meinung nach schwächste Scheibe "Schrottism" erinnert.
"Das Kapital" beruht auf einer originellen Idee, den doch schon recht alt gewordenen Text des Originals ins Jahr 2019 zu transformieren und dabei sogar die Melodie zu modifizieren. Kann man auf jeden Fall machen.
"Nachglühen" wirkt eher wie ein Outro als ein wirklicher Track. Naja, kann man, wenn es unbedingt sein muss, machen.
Ja, wie eingangs erwähnt, gefällt mir die Scheibe gut. Die ersten drei Songs empfehle ich als Anspieltipps, Track 4 bis 8 kann man sich dann entspannt anhören, einfach Schrottgrenze auf gewohntem Niveau, bis es bei den letzten beiden Songs nochmals etwas experimenteller wird.
Für mich wirkt "Alles zerpflücken" jedoch ein bisschen wie ein Schnellschuss. 10 Lieder sind für manche Menschen, die nach heutigen Hörgewohnheiten hören, bestimmt schon viel, ich persönlich finde das für ein Album etwas wenig (Spielzeit: 30 Minuten). Darüber hinaus würde mir etwas mehr textliche Vielfalt schon gefallen. Textliche Vielfalt ist eigentlich das falsche Wort. Vielleicht weniger textliche Plakativität. Aber vielleicht ist gerade das eine Nische, die Schrottgrenze für sich zum Erfolgsmodell machen können: Queer-Pop. Das ist ja tatsächlich ein Thema, das komischerweise nicht allzu oft im Alternative-Sektor behandelt wird.
Dennoch, die Zusammenfassung kann eigentlich nur ähnlich wie bei Thees Uhlmann ausfallen. Es ist sehr beruhigend, dass es noch wirklich gute deutschsprachige Popmusik gibt. Aufgrund der knappen Spielzeit und den etwas einfältigen Texten ziehe ich jedoch einen weiteren halben Stern ab und vergebe 3,5 von 5 möglichen Bierdosen. Aber, wie gesagt, mit dem Titeltrack ist wirklich auch ein Song vertreten, der wahnsinniges Hitpotenzial hat! Ich freue mich auf weitere Alben der Band.