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Ell:
Alles Unter Kontrolle

"Zeiten ändern dich", so hat es zumindest der große Philosoph Anis Mohamed Youssef Ferchichi mal gesagt. Und ich muss ihm da zustimmen.

Früher war es mir sehr wichtig, dass andere Menschen sofort erkennen, welcher Szene ich mich zuordne und natürlich, welche Musik ich höre. Patches, Nieten, Bandshirt, die obligatorischen Chucks waren Pflichtprogramm und in meinen Kopfhörern dröhnte standardmäßig irgendwas lautes, schnelles mit viel Gitarre und Geschrei. Das alles mag ich heute immer noch, hat aber über die Jahre an Stellenwert verloren und ich fröne mittlerweile ungehemmt meiner Liebe zu schönen Melodien und poppigen Sounds, gerne auch mal mit der ein oder anderen elektronischen Spielerei und Gesang, der diese Bezeichnung auch wirklich verdient hat. Ob das jetzt noch Punk ist, ist mir ziemlich egal.

Klar, dass ELL da mit ihren fünf krachig-brachialen Pop-Hymnen offene Türen einrennen. Es ist aber nicht nur die Musik, die mich begeistert, auch textlich fühle ich mich abgeholt. Wo der klassische Punk für mich zur Zeit wenig Innovatives zu sagen hat, geht es hier, ähnlich wie bei Bands wie BLOND, THE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM oder KAPA TULT um Themen, die ich persönlich total nachvollziehbar finde. Neben dem laschen Umgang mit drängenden Problemen wie der Klimakrise, der in "Lambie Pie" zur Sprache kommt, ist da zum Beispiel auch ein Song wie "You bet". Ich mein, wer kennt das nicht: man will sich einen schönen Abend mit den Freund*innen in der Zappelbude machen und dancen like nobody's watching. Leider funktioniert das nur so semi-gut, weil man ständig angelabert, angetanzt und im schlimmsten Fall angegrabscht wird. Kennt ihr nicht? Dann seid ihr wahrscheinlich Männer und könnt nicht verstehen, dass die Süße, die ihr da gerade ins Auge gefasst habt, einfach nur tanzen und eine gute Zeit haben will. Ohne euch. Man braucht euch nämlich gar nicht, um Spaß zu haben. Krass, oder? Und sie braucht von euch auch keine Bewertung ihres Aussehens, zweifelhafte Komplimente oder den generös angereichten Drink. Kurz gesagt: Geht zurück an die Bar und ertränkt euren Kummer in Apfelschorle.

Oder "Manfred", ein Song, in dem die Geschlechterrollen getauscht werden und dem Besungenen geraten wird, die Anmachen und Grenzüberschreitungen der matriarchalischen Gesellschaft (schöne Wunschvorstellung btw) doch bitte still und brav zu ertragen. Was soll frau auch machen, wenn der Typ sich so zur Schau stellt mit dem offenen Hemd, aus dem das Brusthaar quillt. Da kann man ja mal hinlangen, ist schließlich auch irgendwie ein Kompliment. Ironie ist ein feines Stilmittel und ich muss kurz schmunzeln, vielleicht hilft der Perspektivwechsel ja dem ein oder anderen zu verstehen, dass die im Text besungene Übergriffigkeit leider seit Ewigkeiten zum Alltag von FLINTA*-Personen gehört.

"Alles unter Kontrolle" erscheint digital auf dem großartigen Ladies&Ladys Label und auch wenn ich es mittlerweile grundsätzlich der Umwelt zuliebe fast besser finde, nicht immer alles sofort auf Vinyl zu pressen, hätte ich mich hier ein bisschen über einen Tonträger gefreut. Allerdings höre ich Musik auch viel unterwegs, da ist eine Platte gar nicht mal so praktisch. Vielleicht ein Tape, ich besitze seit kurzem wieder einen Walkman. Bis dahin streamt die Songs, es lohnt sich!

Schlossi 03/2023
Hörprobe:
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Ell - Alles Unter Kontrolle

Stil: Pop
VÖ: 24.02.2023, digital, Ladies&Ladys


Tracklist:

01. You Bet
02. Lambie Pie
03. Manfred
04. Sackgasse
05. Tetris


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