Deutschland 2024, die braune Welle schwappt durch Europa. Im deutschen Bundestag scheint gar nicht mehr zur Debatte zu stehen, ob man an die innereuropäischen Grenzen überhaupt kontrolliert möchte, sondern nur noch wie inhuman diese Kontrollen sein dürfen. Das Bürgergeld wird nicht angehoben und ist bei weitem zu niedrig angesetzt. Die Lebensmittelpreise sind hoch as fuck und infrastrukturell ist auch vieles im Arsch. Die meisten Punks erzählen Matcha Latte schlürfend vom Häuserkampf in irgendeinem Berliner Hipster-Café, betonen aber auch im gleichen Atemzug, dass sie es heute Abend mal wieder nicht ins AZ schaffen werden. Lohnarbeit, Kinder, Eigenheim, Muttis Geburtstag...der ganze Rotz, den man früher zum Kotzen fand und über den man heute zwar immer noch schimpft, aber den man dann doch mit einer gewissen Gleichgültigkeit erträgt (oder vielleicht sogar insgeheim gerne tut). Und der Nachwuchs?! Die haben verständlicherweise auch keinen Bock, flüchten sich in kleinere Projekte, weil das große Ganze dann irgendwie doch zu abstrakt ist und da doch vieles lauert mit dem man sich einfach nicht auseinandersetzen möchte (was aber auch verständlich ist).
Was wird also aus der Zukunft? Nun, die sieht (wie immer) düster aus. Vielleicht sogar noch ein bisschen düsterer als damals, als der mittlerweile ja auch komplett gehirnverfaulte Johnny Rotten zum ersten mal in sein Mikrofon "No Future" grölte. Die Musik hat sich dementsprechend auch größtenteils angepasst und ein leicht brauner, aber vor allem neoliberaler Brei wabert miefig durch Spotify-Playlists und Online-Radios. Serien verwenden eh nur noch Musik, deren Erscheinungsdatum deutlich vor dem Geburtsdatum der Zuschauer*innen liegt. Kann es da denn überhaupt noch eine ernstzunehmende Gegenbewegung geben? Kurze Antwort: Nö! Und wie soll es dir auch geben, wenn der Kapitalismus auch so gut alles, was es an neuen Ideen gibt, absorbiert und sich einverleibt wie der Blob. Gut, dass wir bald in einem klimadystopischen Szenario leben werden, das wie eine Mischung aus Mad Max und Waterworld aussehen wird. Da dies aber noch ein wenig dauern wird, müssen wir uns wohl oder übel mit kleineren Lichtblicken zufrieden geben. Diese sind zwar selten, aber es gibt sie glücklicherweise noch und zwar in Form der Band Massenschlägerei.
Ironischerweise kommt diese Band ausgerechnet aus der Stadt Heidelberg. Diese knapp 160.000 Einwohner*innen starke Stadt am Neckar ist wohl einer der letzten Orte in Deutschland, in der ich Rebellion für möglich gehalten hätte, aber tatsächlich gibt es dort zwischen Renaissance und zu vielen Studis auch noch die Band Massenschlägerei. Die scheißen konsequent auf alles und sind für mich das was Mülheim Asozial nicht mehr sind, nämlich Straße. Also, jetzt nicht Straße im wortwörtlichen Sinn, die ist nämlich nass und man holt sich dort schnell eine Blasenentzündung, sondern eher Stadtpark mit den Kötern. Das ist der Ort, wo man die Band Massenschlägerei meistens antreffen dürfte. Meine Wege mit dieser Kapelle kreuzten sich zum ersten Mal 2021 auf einem feucht-fröhlichen Abend im Viertelzimmer in Hamburg, wo es das Bier gegen Spende gab und gratis dazu einen grandiosen Abriss bei Massenschlägerei. Damals hatte die Band ganz frisch ihre erste EP "Demo: Müll" den Leuten in ihre gierigen und verschmierten Hände drücken können. Bis heute erzähle ich gerne von diesem legendären Abend und frage mich dabei immer (fast schon ein bisschen melancholisch), ob es diese Band wohl immer noch gibt oder ob sie wohl schwach geworden sind und sich irgendwo eingeschrieben haben.
Eine kürzlich erhaltene Nachricht von Bandcamp sollte diese Frage dann drei Jahre später klären. Nicht nur, dass es Massenschlägerei noch gibt, sie haben auch ihr erstes Album "VolXküche" am Start. Ich vermute mal, dass hierzu jemand, nennen wir ihn Maximilian, der irgendwas mit Medien studiert, im Rahmen seiner Bachelor-Arbeit (irgendwas mit Musik oder Jugendkultur) irgendwie auf die Band Massenschlägerei getroffen ist. Wahrscheinlich war Maximilian beim Anblick der verwegenen, aber auch stark versifften und alkoholisierten Leute, zuerst noch ein wenig abgeschreckt. Später formierte sich in seinem kleinen Studi-Hirn dann aber schnell die Idee, dass diese Typen, die sich da Bierflaschen an ihren Köpfen zerschellen ließen und dabei einen Gestank wie eine Kläranlage produzierten, wohl der richtige Untersuchungsgegenstand für seine Arbeit wären und so entschloss er sich, die Gruppe anzusprechen. Ein paar Geschlechtskrankheiten und Platzverweise später hat Maximilian zwar den Abgabetermin für seine Bachelor-Arbeit versäumt und ist mittlerweile exmatrikuliert, hat aber Massenschägerei den Kontakt zu Dustin beschert. Dustin verfügt über ein kleines Aufnahmestudio im Keller von seiner taubstummen Oma. Da er noch nicht so viel Erfahrung mit Studioaufnahme hat und unbedingt ein paar Sachen üben und ausprobieren will, kommen Massenschlägerei genau zur richtigen Zeit. Somit bietet er an, dass diese für einen symbolischen Obolus von fünf Flaschen Äpplewoi bei ihm aufnehmen können. Das klingt fair und ist an einem guten Samstag schnell zusammengeschnorrt.
Entstanden sind insgesamt 16 Songs von denen es die Hälfte bereits auf dem "Demo: Müll" zu hören gab. Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass mir die Kasi-Qualität beim Demo noch einen Tacken mehr gefallen hat, als hier bei der Studioversion, da klingt das Schlagzeug nämlich etwas dumpf und weniger räudig. Dies wurde aber durch den Gesang wieder reingeholt, auch wenn mir dieser an einigen Stellen ein bisschen zu bemüht rotzig ist, aber auch das sind Kleinigkeiten, die im Gesamtbild völlig unwichtig sind.
Ansonsten behandeln die Texte zwar keine gänzlich neuen Themen, sollten aber trotzdem besonders hervorgehoben wurden, da hier so kompromisslos und immer ein bisschen neben dem Takt und neben den Tönen so hart rausgefeuert wird, dass keine Spießerhose trocken bleiben dürfte. Aber nicht nur zerstört wird hier; der titelgebende Song "Vokü" sowie "Müll" bieten hierbei jeweils Ausweg aus der tristen Kapital- und Wegwerf-Gesellschaft. Denn zwischen "Brandlöchern in der Kuscheldecke" (Müll) und "Hinten an der Rampe bei REWE" ist immer noch Platz für einen Iroträger oder eine gepiercte Punkettenfresse. Weiterhin gefällt mir der besonders eingängige Song "Sommerhit", dessen Refrain "Wieso gibt es keine Maßeinheit für Hass, denn ich hab kiloweise davon", fast von den Eight Balls oder Todeskommando Atomsturm hätte geschrieben worden sein können. "Da sauf ich lieber", hier leider ohne Drei???-Zitat, war schon auf dem Demo der absolute Überhit. Ich meine, wenn der Song schon mit der Line "Vier Oi!ro für den Eintritt - das ist mir viel zu teuer! Am Kiosk gegenüber gibt es Schnaps nur für ne Mark!" startet, wurde ja bereits alles gesagt. Es gibt dann noch ein paar mehr Themen, z.B. das obligatorische Lied gegen Nazis ("Draufschlagen") und generell viele Statements gegen Arbeit ("Working Class Hero"), aber im wesentlichen sei an dieser Stelle alles gesagt. Falls du wirklich bis hierhin gelesen hast, trinkst du gerade kein Bier, sondern Kaffee. Wäh!
Zu hören gibt es das Ganze übrigens auch exklusiv auf Bandcamp. Lasst doch gerne eine Spende da, ich habe mir sagen lassen, dass Ratte nämlich Geld braucht um seinen Köter kastrieren zu lassen.
Fazit: Massenschlägerei wollen sich auch auf "Volxküche" nicht anbiedern. Massenschlägerei wollen Gräben ausheben und ganz besonders wollen Massenschlägerei dir in deine Fresse rotzen. Heute bist du nämlich arbeiten gegangen und somit hast auch du einen Beitrag geleistet um dieses Scheiß-System am Leben zu halten.
Anspieltipps: Sommerhit, Da sauf ich lieber