Mitnichten war Dortmund in Sachen Subkultur ein unbeschriebenes Blatt, bevor Bierschinken größtenteils die Zügel in die Hand nahm ; ) Schon davor wirkten zahlreiche Leute in der Dortmunder Underground-Szene. Bisher ist dies leider nur wenig dokumentiert.
Dies ändern nun Peter Hesse, Jens Prüter und Ben Richter mit ihrem Buch DortmUnderground. Auf 144 DIN-A4 Seiten, mit reichlich Text, aufgelockert durch viele farbige und s/w-Bilder, kann man nun in die Zeit 1978 - 1998 eintauchen und erfährt so einiges über lokale Bands wie THE IDIOTS oder RIM SHOUT. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf Punk, der allerdings mit Bands wie den beiden oben genannten sowie CHOLERA, NEAT, CLOX, VOLXEMPFÄNGER und weiteren stark vertreten ist. Bis auf THE IDIOTS und CLOX übrigens alles Bands, von denen ich noch nie gehört habe, obwohl ich seit 15 Jahren in der Stadt und schon immer im Umland gelebt habe. Das könnte daran liegen, dass viele der aufgeführten Bands heute fast vergessen sind und auch damals nur einen überschaubaren Erfolg gehabt haben. Denn obwohl Dortmund die neuntgrößte Stadt Deutschland ist, bleibt die Stadt in Sachen (Sub)Kultur doch weitestgehend ein ziemlich karges Feld. Gerade in den Achtzigern spielte sich deutlich mehr in Städten wie Düsseldorf mit seinem Ratinger Hof, Hamburg mit der Hafenstraße oder Hannover ab. Selbst Dortmunds bevölkerungsärmere Nachbarstädte Bochum (GRÖNEMEYER) und Hagen (NENA, EXTRABREIT) haben in der Hinsicht mehr Ruhm erlangt.
Neben Punk finden in DortmUnderground unter anderem Künstler aus den Genres Metal (MORGOTH, DESPAIR), Rock'n'Roll (LES JACKS, CHAINSAW HOLLIES), Oi! (DIE MÄNNER), Folk (COCHISE), Psychedelic und Krautrock (YELLOW SUNSHINE EXPLOSION), Country und Trash (THE RAYMEN), sowie NDW und Reggae (Helmut Phillips, NATTY U) und Blues statt. Man steigt dabei meist in Form eines Portraits, eines Interviews oder mit Hilfe einer kleinen Geschichte in die Thematik ein. Immer ganz sympathisch, weil wie auch hier bei uns, rein subjektiv.
Man porträtiert so nebenbei noch das Label Pläne, das weit bis über die 70er Jahre hinaus federführend im Veröffentlichen von links-alternativer Musik war, und stellt Robert Kampf von Century Media Records Fragen, der von Dortmund aus den Metal in die Welt gebracht hat. Hier versucht man auch der Frage auf den Grund zu gehen, warum so wenige Dortmunder Bands mit großem Erfolg belohnt wurden. Es kommt Edgar Klüsener zu Wort, der für die in Dortmund ansässigen Magazine Metal Hammer und Visions tätig war. Außerdem wagen sie einen Blick aus dem Bereich des Undergrounds heraus und stellen Musiker:innen wie SASHA, TOO STRONG, PHILLIP BOA und THE EEL vor.
Zudem haben es ein Nachruf auf bereits verstorbene Protagonisten der damaligen Szene, Konzertphotographie, ein Gedicht, ein Zeitstrahl über zwei Jahrzehnte, der Proberaumkomplex CEAG, der Film "Doppelpack", der Sampler "Desperados", ein Konzertbericht und eine Sammlung an Konzert-Postern und Flyern in das Buch geschafft. Eine Menge Stoff wurde da zusammen getragen! Gefreut habe ich mich auch, Ritchie Lange im Buch zu finden, der in der Dortmunder Musikszene als Besucher schon lange zum Inventar gehört. Insgesamt tauchen immer wieder bekannte und weniger bekannte Menschen aus der Musikszene der damaligen Zeit auf und besonders die Dortmunder kommen immer wieder selbst zu Wort. Dass es bei so vielen Projekten zu Überschneidungen und somit im Buch zu Wiederholungen kommt, ist unvermeidbar.
Sehr interessant fand ich auch das Interview mit Uli Schmitz der im ehemaligen "kleinen" FZW für das Booking zuständig war und sehr interessante Geschichten und Anekdoten zu erzählen hat. Spannend ist auch immer die Zeitreise in oft chaotische, alkoholgeschwängerte Nächte in Dortmunder Spelunken und Clubs wie der Live Station, dem Ernie, dem Spirit, oder eben jenem FZW. Nicht wenige davon durfte ich noch kennenlernen, wenn auch manchmal nur noch kurz. Dass dabei nicht nur Beweihräucherung betrieben wird, ist mir ebenfalls positiv aufgefallen. Da wir dann auch schon mal ungeschönt davon berichtet, wie es zu Zusammenstößen zwischen Punks und Skins kam, was DAILY TERROR und THE IDIOTS damit zu tun haben, oder wie es dazu kam, dass der Verfassungsschutz im Last Chance Plattenladen oder Nazi Skins in Sir Hannes' (THE IDIOTS) Wohnung anzutreffen waren. "Früher war es anders scheiße als heute", so wird es an anderer Stelle treffend formuliert. Nicht bewusst war mir auch, wie viele Fanzines wie z.B. Battlefield, Hustensaft oder Spaeter Sterben die Dortmunder Szene hervorgebracht hat. Denn, auch wenn dieses Fanzine hier nicht mehr auf Papier erscheint, hat sich doch vieles seit damals nicht geändert, noch immer lautet die Devise weitestgehend: "bis ins kleinste Detail gestaltete, ja fast schon Kunstwerke, hektisch zusammengewürfelte Beleidigungen fürs Auge, 100-Seite Monster oder achtseitiges Geschmiere, hochintellektuelle Beiträge und strunzdumme Kommentare - alles war erlaubt. Punk eben.". Denn ob 1978, 1998 oder 2026 noch immer und das kann man in und an diesem Buch sehen, lebt eine Szene von Menschen die auf eigene Kosten und in ihrer Freizeit "einfach mal machen".
Wer sich beeilt, kann sich noch bis zum 01.11.25 im Annelise - Raum für Bücher und Bilder in der Gneisenaustr. 30 in Dortmund die zum Buch gehörige Ausstellung anschauen. Allen anderen Interessierten empfehle ich die läppischen 20 Euro für dieses feine Buch hin zu legen.
