Wolfgang Maria Dittmann:
Gürrüsk Mürrüsk
Ein verregneter Spätsommertag im September, Münster in Westfalen. Den faulen Langzeitstudierenden Gerd V. erreicht eine Email mit dem Betreff „Gürrüsk Mürrüsk – ein tolles Buch“. Beide Teile dieser Aussage werden sich im Laufe der Zeit als äußerst fragwürdig herausstellen.
Ich habe mich lange gewundert, ob mir wohl ein billiges Paperback oder eine hochwertige gebundene Ausgabe des Buches von Bierschinken-User Kabl, einem persönlichen Freund des Autors Wolfgang Maria Dittmann, zugesendet werden würde. Meine kühnsten Träume wurden allerdings noch übertroffen, als sich das Buch als Link in der Mail befand, als eBook sozusagen. Da ich kein modernes Abspielgerät für derartige Dokumente besitze, habe ich es mir irgendwann heimlich ausgedruckt und dann doch größtenteils am Bildschirm gelesen.
Äußerlich besticht das ungefähr 80seitige Word-Dokument durch zahlreiche Rechtschreibfehler, das vollständige Fehlen von Absätzen und einen Haufen Abbildungen, die aussehen, als hätte ein geistig zurückgebliebener, beidseitig armamputierter Affe sie mit Microsoft Paint gezeichnet. Mit einem Touchpad. Mit dem Gesicht.
Die Lesbarkeit leidet extrem unter den fehlenden Absätzen, glücklicherweise wird der Text gelegentlich doch etwas aufgelockert, sei es durch die eben angesprochenen Bilder, Kapitelüberschriften, Lieder und Gedichte oder in Dialogform wiedergegebene Gespräche.
Aber genug über Äußerlichkeiten. Das Buch vermittelt einen direkten Einstieg ins Geschehen, indem zunächst seitenlang kitschig und bildhaft eine Frühlingsszene dargestellt wird. Das trägt zwar überhaupt nichts zur Story bei, füllt aber die Seiten und lässt den Leser bereits auf den ersten Seiten sowohl an seiner eigenen als auch an der geistigen Zurechnungsfähigkeit des Autors zweifeln.
Es folgt sodann ein Stilbruch ins Fäkale und auf einmal geht es schon um globale Erwärmung – Wolfgang Maria Dittmann, ein Meister der schnellen Sinnessprünge. Beim genauen Hinsehen entdeckt der geneigte Leser aber an dieser und vielen anderen Stellen, dass das scheinbar wirre Abdriften des Erzählers gezielt dazu genutzt wird, um dem Leser im Subtext seine eigene Meinung nahezubringen. In diesem Fall, dass er globale Erwärmung scheiße findet. An anderer Stelle, dass er Freiwild und die Onkelz scheiße findet. Oder die Massentauglichmachung von alternativer Subkultur in Form von elektronischer Musik. Und noch viele andere Dinge, die man so scheiße finden kann.
Als Gesamtwerk betrachtet bedient sich das Buch einer Vielzahl moderner Erzähltechniken, die man auch in jedem Thriller vom Drei-Euro-Grabbeltisch bei Marktkauf oder dem Bahnhofsbücherladen finden kann, meistens so weiße Bücher und der Titel ist in Blut geschrieben. Die Geschichte wird zum Beispiel aus verschiedenen Perspektiven erzählt, zum Teil geht es um den unbescholtenen Protagonisten Ludwig, der gerne säuft und nebenher Germanistik studiert. Aufgrund einiger Ausflüge in linguistische Feinheiten der deutschen Sprache maße ich mir an, hier autobiographische Tendenzen zu vermuten. Das mit dem Saufen aber auch. Weitere Erzählperspektiven sind die der Polizei und, ganz besonders innovativ aber von allen Krimiautoren der letzten Jahre ausgeschlachtet, die Perspektive einer unbekannten Person, die meistens geistig gestört ist, was mit den Kriminalfällen zu tun hat und in irgendeiner dunklen Höhle haust. Chapeau!
Ein Lächeln zauberte mir das Buch (neben den zahlreichen Pipi und AA-Witzen, ihr wisst ja, ich steh auf sowas) stets durch Anspielungen auf bekannte Punkrockhymnen aufs Gesicht. Die sind zum Teil dicht in der Story verwoben, wenn z.B. der Protagonist jemanden schlafend in der Pissrinne vorfindet, die Geschichte erzählt wird, wie das Bidet in einem Bonzenhaushalt mal kaputt war (Die nackten Gölfer) oder in einem unschuldigen Nebensatz erwähnt wird, dass irgendwo die Häuser der Reichen stehen. Leider ist das Buch keine Story, die alle Hits und Knaller der Geggen Gaggas verknüpft, die Geschichten von Rendl und dem, wo auf dem Fahrrad schläft hätten mich auch sehr interessiert.
Jene Geggen Gaggas finden natürlich auch mehrfach Erwähnung in diesem Meisterwerk, das zunächst sogar in Dinkelscherben spielt, später verlagert sich der Ort des Geschehens allerdings unbemerkt in einen Ort namens Tinchilo. Ich habe weder Kosten noch Mühen gescheut und sogar mal bei Google Maps nachgesehen, ob das da irgendwo in der Nähe ist, aber Fehlanzeige. Muss wohl ein Fantasieort sein! Am Ende sind die Geggen Gaggas übrigens alle tot. Bis auf ihren Sänger, der der Polizei von Tinchilo helfen muss.
Noch mehr beeindruckt das Buch allerdings durch seine bildhafte Ausdrucksweise. Das sind zum einen zahlreiche Synonyme fürs Saufen (sich die Kirsche anleuchten, sich die Birne von innen waschen, etcpp), viel bayrische Mundart (z.B. brunzen) und allgemein ungewöhnlich präzise, dennoch absolut merkwürdige Ausdrücke, wie zum Beispiel dass die vier Proleten im Wirtshaus einen Zerspanungsmechanikerschafkopf der übelsten Sorte spielen und dabei diverse Leckereien „rüppeln“, seien es Maurerknollen oder die sogenannte Betonmaß, ein Maßkrug voller gemischter Schnäpse. Lecker.
Die Namen der im Buch auftretenden Personen sind insgesamt recht eigenartig gehalten. Manche Personen heißen einfach Rolf oder der Gärtner und könnten auch jedem anderen Roman entsprungen sein, andere sind dann mit so merkwürdigen Namen wie Kid Sing Bahn, Spekulatius, Nazi-Wörni, Hüpffelsen oder Herr Implantate gezeichnet. Dieser Umstand trägt wie viele andere Aspekte dieses Schriftstückes dazu bei, dass man das gesamte Werk mit einem fragenden Gesichtsausdruck liest.
Zwischenzeitlich habe ich überlegt (um genau zu sein, als der Name Kid Sing Bahn zum ersten Mal auftauchte), ob die Namen vielleicht alle Anagramme der Namen von real existierenden Personen sind, das wäre ja mal eine außergewöhnliche Nummer, um die Identitäten zu schützen (was bei diesem Werk auch dringend notwendig ist). Ihr wisst schon, Anagramme, man stellt die Buchstaben um und schon kommt was Lustiges raus, aus Saerdna Blak kann man beispielsweise ganz schnell Alaska-Bernd machen, oder Skandal-Baer, Kardan-Blase, Sakral-Abend, Anal da Krebs, Knabe als Rad oder oder oder. Konnte aber nichts dergleichen feststellen.
Geringe Teile der Geschichte beschäftigen sich auch mit der rumänischen Sprache, die als Buchstabengewirr und konstruiertes Kauderwelsch wiedergegeben wird, auch der Titel des Buches passt wahrscheinlich in diese Kategorie. Was Gürrüsk Mürrüsk heißen soll, habe ich bis heute nicht verstanden, aber ich kann ja auch kein Rumänisch. A trecut baba cu colacii, wie der Rumäne sagt.
Auf das Ende des Buches wäre dann sogar M. Night Shyamalan (aus dem Kopf richtig geschrieben, geil!) stolz, es folgt ein riesiger Twist, mit dem niemand gerechnet hat, der den Leser aber mit einer seltsamen inneren Leere zurücklässt. Letztendlich manifestiert sich dieses Gefühl zusammen mit dem bereits angesprochenen fragenden Gesichtsausdruck in die folgende Fragestellung: Wie kommt man eigentlich auf so eine Scheiße?