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Tagada Jones, Larsenbox, 01.10.2011 in Coatelan (FR), Club Coatelan - Bericht von Gerdistan

Tagada Jones, 01.10.2011 in Coatelan

Urlaub am Ende der Welt, wörtlich gesehen, denn das neunundzwanzigste Departement der Republik Frankreich, in dem wir uns befinden, heißt Finistère, was sich wiederum vom lateinischen Finis Terrae ableitet - das Ende der Welt. Auf bretonisch übrigens Penn ar Bed, haha. Kein Scherz!
Jedenfalls habe ich während der Urlaubsplanung gesehen, dass Tagada Jones auf ihrer Konzertliste einen Gig in 29 gelistet haben, kann also nicht so weit sein. Die Reise beginnt...
Den Namen der Pariser Punkband "Les Betteraves" irgendwo zu lesen, ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Betterave lediglich Rote Bete bedeutet.
Etwas mehr gestaunt habe ich dann im Supermarkt bei diesen Dingerchen hier. Tagada scheint also tatsächlich ein Wort zu sein! Aber was mag es bedeuten?
Zum Glück finde ich im Kochbuchregal der Ferienwohnung zwischen dem großen Käseatlas und Marianne Kaltenbachs "Meine Fischküche" ein wirklich dickes Wörterbuch, welches mir auch erklärt, was Tagada bedeutet. Wir sehen heute Abend also Fidebumm Jones. Geil. Der Wörterbucheintrag dadrüber ist übrigens reiner Zufall.
Auf ins gute alte Punkrockmobil. 420000km und kein bisschen leiser, Groezrock und Ruhrpottrodeo erprobt, sämtliche meiner Umzüge mitgemacht und das bei 5,6 Litern Diesel auf 100km - ich liebe dieses Auto. Im Hintergrund zu sehen: Unser Haus und das wundervolle Wetter, mit dem unser Urlaub gesegnet war.
Woran erkennt man ein französisches Auto? Am Baguette auf der Hutablage! Das Konzert findet laut der Facebookseite in Morlaix (29) statt, der Club ist laut Clubhomepage aber in Plougonven, wo eben jenes Auto vor einem Supermarkt stand.
Die Angabe "Route de Plourin" in der Adresse ist allerdings kein Straßenname, sondern etwas wörtlicher zu fassen: Man findet den Club Coatélan an der Straße, wenn man von Plougonven nach Plourin fährt. In einem winzigen Dorf namens Coatélan.
Club Coatélan! Gefunden. War gar nicht so einfach, da das Navi aus oben erklärten Gründen mit der Adresse nichts anfangen konnte. Bereits nach Plougonven hatte es sich aber wenigstens einen lustigen Weg über winzige Nebenstraßen ausgedacht, auf denen man ja theoretisch auch 90 fahren darf... naja, egal, wir sind jedenfalls da.
Vor dem Club laden ein paar Jungs Gitarren aus und wir finden auch ein Plakat um die Ecke, um uns zu vergewissern dass wir am richtigen Tag am richtigen Ort sind. Da es erst kurz nach 18 Uhr ist, machen wir uns auf den Weg, um Morlaix zu erkunden und was zu essen.
Don't drink and drive, höhö. Das Höchstmaß an Fastfood, was das Ende der Welt erreicht hat, ist übrigens Pizza à emporter, also Pizza zum mitnehmen. Also organisieren wir uns nach einem Stadtrundgang genau das und fahren zurück nach Coatélan, wenn man das Navi mit Stadtzentrum Coatélan füttert, kommt man auch an, obwohl die Bezeichung Stadtzentrum irgendwie unpassend ist. Da Coatélan allerdings hauptsächlich aus einer Straßenkreuzung mit ein paar Häusern besteht, haben wir keine Probleme, den Club wiederzufinden.
Es ist 20 Uhr und wir setzen uns auf dem Parkplatz in den Kofferraum und trinken Cidre bzw. Wasser. Es passiert: Nichts. Gute Gelegenheit, sich mal wieder zu unterhalten, hat man ja sonst kaum, wenn man zu zweit in den Urlaub fährt. Die Sonne geht unter und wir sitzen immer noch alleine auf dem Parkplatz. Während wir uns immer noch fragen "Combien de temps encore?" kommt gegen 9 schließlich das nächste Auto, vier Franzosen unseres Alters steigen aus und bemerken zuerst "Aahh, nous sommes arrivées à la campagne!", was soviel bedeutet, dass wir mitten auf dem Land sind. Gute Beobachtung. Es kommen gelegentlich Leute vorbei, denen wir in gebrochenem Französisch erklären, dass wir auch nicht wissen, wo es reingeht und wann aufgemacht wird. Der Club sieht wirklich so tot aus wie auf dem Foto, kein Licht, kein nichts.
Bevor ich dieses Foto schießen konnte, ist noch etwas Zeit vergangen - bis viertel vor 10 passiert nämlich überhaupt nichts, dann füllt sich der Parkplatz langsam (die Franzosen wissen offensichtlich Bescheid, wie der Hase hier läuft und sind einfach keine Fans von draußen Vorsaufen. Die Nüsschenboys hätten relativ dumm dagestanden), um 10 geht die Außenbeleuchtung des Clubs an und um 20 nach wird auf der Rückseite ein winziges Törchen geöffnet (von einem Securitymann, der aussieht wie Woody Harrelson in Natural Born Killers) und man darf eintreten. Eintritt kostet 10/12/15 Euro - 10 für "Adherents Passwart", was auch immer das ist, 12 im VVK und 15 an der Abendkasse, also für uns. Ganz schön happig für ein Konzert in einem kleinen Club mitten im Nirgendwo. Klein ist übrigens auch die Bühne, wie man sieht.
Das ist die Vorband "Larsenbox". Drei französische Jünglinge, deren Frisuren und Oberbekleidung etwas zu kunststudentisch für eine Punkrockband aussehen. Der Eindruck trügt aber: Ganz netter Coverpunk mit ordentlich Spielfreude, etwas zuviel Stadionrockallüren ("Hee-ee-eee-eee-eey" und ähnlich tumbe Publikumsinteraktion), aber ein Cover von Blitzkrieg Bop mit so einem putzigen Akzent hört man wirklich selten (er sang wirklich "Blitzkrieg Böp").
Ein paar Songs hab ich erkannt (Are you gonna be my girl, Twist and Shout, Johnny B. Goode, etcpp) und sehr vieles davon klingt ziemlich nach Green Day in der Phase, kurz bevor sie scheiße wurden, also so um die Jahrtausendwende und das Album "Warning", was hauptsächlich an der Stimme des Sängers liegt - spätestens als sie Walking Contradiction spielen, sollte das jeder gemerkt haben.
Nach über einer Stunde sind Larsenbox fertig. Vorband heißt auf Französisch übrigens "Premiere Partie", vielleicht haben die deshalb so lange gespielt. Einer der Roadies von Tagada Jones trägt ein St. Pauli-Shirt, fast 1500km von Hamburg entfernt - weniger erstaunlich, wenn man daran denkt, dass auch Talco ein Lied über St. Pauli geschrieben haben. Es ist mittlerweile schon fast 12 und ich kaufe ein Bier - 0,25L Heineken für VIER EURO!! Die spinnen doch. Bleibt das letzte Getränk, was ich in dem Laden kaufe.
Tagada Jones betreten die Bühne. Der Sänger ist ziemlich klein, wie man auf diesem Bild erkennen kann. Nichtsdestoweniger gibts direkt voll aufs Fressbrett. Der Sound war bei Larsenbox schon gut, aber bei Tagada ist er einfach umwerfend. Haut einen direkt von den Füßen.
Die Bühne ist winzig und mit einer vierköpfigen Band schon gut gefüllt, aber dann haben sie noch die vier großen Lichtboxen mit den Totenköpfen aufgestellt. Platz zum Bewegen ist kaum, aber die älteren Herren kriegen das sehr routiniert alles hin.
Die Lichtboxen mit den Schlangen können übrigens auch Dinge anzeigen, die meistens sogar was mit dem Song zu tun haben - in diesem hier ging es offensichtlich um Zahlen.
Dieser langhaarige Bombenleger ist der Gitarrist. Gespielt wurde nach ein paar neuen Songs das Lied "Combien de temps encore?" vom Album "Le Feu (sprich: Fö) aux Poudres", welches ich vor ein paar Jahren mal von Jenz bekommen hab und mich sofort in den Sound der Band verliebt habe. Schneller Punk mit ein paar HC-Anleihen und Elektro-Effekten. Wers nicht kennt, reinhören!
Das Publikum feiert die Band gut ab, kein Wunder, kommen ja auch aus der Ecke. Apropos Publikum: Die Zuschauer bestehen im Wesentlichen aus einer größeren Gruppe besoffener über 40jähriger, die alle mit einem großen Bulli gekommen sind, einer Gruppe Jugendlicher, die auf ihrem ersten Rockkonzert zu sein scheinen und zwei ca. 10jährigen (ungelogen) Iropunks, die mit Mutti und Vati da sind. Abgerundet wird das ganze von einem Haufen Altpunks an der Theke.
Hier sehen wir mittig im Bild den Schlafanzughosenmann neben den zwei Nachwuchspunks (rechts). Während die jüngeren vorsichtig ihre ersten Gehversuche in Sachen Pogo machen, wird der Pit von den älteren gut aufgemischt, was allerdings vorherrschend am Alkohol liegt. Ganz hinten versuchen sich dann noch ein paar Karatekids im Violent Dancing - ein buntes Potpourri an Zuschauern also, nur im studierfähigen Alter ist außer uns hier irgendwie keiner.
Einige Lieder richtigen sich auch gegen Sachen, wie z.b. hier das Lied "Manipule". Die Sachen sind meistens Globalisierung oder Bier für vier Euro, so oder so ähnlich wurde das Lied jedenfalls angekündigt.
Eine interessante Erscheinung ist dieser tätowierte Herr am Bass. Mit einem Unterkiefer, der Willem Dafoe Konkurrenz macht, wiegt er sich mit der halben Geschwindigkeit der Musik im Takt, was tatsächlich passt, aber absolut befremdlich wirkt, da er die Griffe am Bass doppelt so schnell wechselt.
Die Hauptrolle auf der Bühne spielt allerdings der Sänger. Die Stimme wird sogar vom Mischpult aus für jeden Song mit den korrekten Halleffekten und dem ganzen Wahnsinn unterlegt - das ist zwar professionell, aber genau wie die großen Lichtboxen irgendwie überflüssig. Ein besseres Livefeeling hätte sich vielleicht mit etwas mehr DIY-Attitüde eingestellt.
Der missglückte Versuch eines Drummerfotos. Schade eigentlich, da der Drummer immer gut dabei war, was Posen angeht - und das als Drummer!
Die Routine von über 1000 Konzerten (laut Wikipedia) merkt man den Herren allerdings auch an, da greift keiner daneben, da verpasst keiner nen Einsatz. Besoffen waren die auch nicht, glaube ich. Kein Wunder, bei Bier zu einem Literpreis von 16 Euro!
Songmäßig gehts kunterbunt durch alle Alben und auch das Neuwerk "Descente aux Enfers" (Abstieg in den Orkus) kommt nicht zu kurz. Allein "Donnez nous le pouvoir" vom ersten Album "Plus de Bruit" hat mir gefehlt, weil das so ein schöner Mitsingsong ist, aber man kann ja nicht alles haben.
Bei diesem Lied geht es wieder um Zahlen - "Les Compteurs à Zero" von der gleichnamigen Platte. Zu deutsch: "Die Zähler auf Null", inhaltlich geht es um die Armut auf der Welt.
Jetzt stehen die Zähler auf Null, oder wird hier etwas das Ergebnis von Hannover gegen Bielefeld einblendet? Man weiß es nicht.
Nach ca. 75 Minuten kommt der Sänger alleine auf die Bühne und beginnt die Zugabe, bevor die anderen auch wiederkommen und nochmal 20 Minuten drauflegen.
Der Gitarrist ist inzwischen obenrum nackedei. Es werden zwei Coversongs von der 6.6.6 (einer CD mit sechs neuen, sechs Covers und sechs unveröffentlichen alten Songs) gespielt.
Am Merchstand kosten übrigens alle Shirts 15 Euro, nur das von der vergangenen Quebec-Tour (was auch draufsteht) kostet 12. Super Deal. Poster verkaufen sie leider nicht und im Club sind bald alle geklaut, bevor ich das selbst in die Hand nehmen kann. Verdammt.
Zum allerletzten Song dürfen dann noch drei Altpunks aus dem Publikum ans Mikro und kräftig mitsingen. Ob die von irgendeiner anderen Band waren, weiß ich nicht.
Müde, Durst, Revolution - nach dem letzten Song zum Auto und erstmal Wasser reinkippen, also in mich, nicht ins Auto. Dann noch durch stockfinstere Dörfer 78km nach Hause jückeln und nach 3 in die Heia fallen. Zwei Tage später dann 1200km zurück nach Münster. Tausend Kilometer auf der Autobahn, und ich frage mich noch, wozu hab ich mir das angetan? Die Antwort fand ich an einer französischen Mautstelle in der Schlange vor uns.

Bis zum nächsten mal
euer Gerd

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Thruntilldeath
(Thruntilldeath)
06.10.2011 00:20
Neben Nüsschen sind Caravanparks definitiv meine zweite Leidenschaft. So'n kleines Büsschn kacke find ich's ja doch, dass ich nicht mitjuckeln konnte und den Coatelan-(ich brauch keine Akzente)-Punkt nicht eingesackt habe.

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