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Les Ramoneurs de Menhirs, Frésénie, 23.03.2012 in Douarnenez (F), MJC - Bericht von Gerdistan

Les Ramoneurs de Menhirs, 23.03.2012 in Douarnenez (F)

Ja meine sehr verehrten Damen und Herren, da sind wir wieder, Evil Gerd berichtet live für sie straight from the pit. Eigentlich hatte ich vor, diesen Bericht zu schreiben, wenn ich wieder in Münster bin, aber seit ich auf der Straße gegenüber des Ferienhauses ein frei zugängliches WLan gefunden habe, kann ich euch das ja auch schon früher senden. Betrachtet es als Urlaubsgruß.
Wir schreiben den 23. März und ich mache aufgrund temporärer studienabschlussbedinger Arbeitslosigkeit eine Reise ins elterliche Ferienhaus mit ebendiesen zwei Begleitern, alle anderen haben miese Ausreden (Arbeit und so, glaubt euch doch kein Mensch). Trotz sommerlicher Außentemperaturen hat der Atlantik (siehe Bild) noch knackige 11°C und ich beschließe, nicht baden zu gehen.
An einem anderen Strand (die gibts hier wie Sand am Meer) platzen wir in eine Militärparade hinein. Die kriegen alle einen Orden verliehen und singen dann ein Lied, keine Ahnung worum es genau ging. Ich komme wahrscheinlich demnächst in ein französisches Militärgefängnis, weil ich das heimlich fotografiert habe (ich schreib dann auch wieder nen Bericht).
Nun zum eigentlichen Anliegen. Die Band "Les Ramoneurs de Menhirs" gibt ein Konzert im nur 15km entfernten Küstenstädtchen Douarnenez und ich kann live dabei sein. Mein Vater findet sogar die Annonce in der Tageszeitung. Obwohl ihm eine Vorliebe für eigenartige Musik nachgesagt wird (Eläkeläiset, Freejazz, Kraftwerk), kann ich ihn nicht überzeugen, mitzukommen.
Ich hatte das Konzert natürlich bereits weit im Vorfeld im Internet ausfindig gemacht (allerdings nicht auf Bierschinken!), aber auch aufgrund der überall sichtbaren Plakatierung wäre es mir wohl nicht entgangen. Schade, dass ich keine Nahaufnahme des Posters habe, das ist echt geil.
So sieht die Eintrittskarte aus, statt wie im Internet angekündigt fünf zahle ich jetzt acht Euro (ausgesprochen: Öroo), nachdem ich mutterseelenallein die paar Kilometer über kurvige Serpentinenstraßen zum MJC gefahren bin (nein, ich musste dabei nicht kotzen).
MJC heißt "Maison de Jeunes et de la Culture" (Haus der Jugend und Kultur) und ist ein ganz normales Jugendzentrum, nur dass auf der anderen Straßenseite direkt das Meer ist. Schöne Gegend. Auf der Bühne stehen jedenfalls jetzt ein paar Vertreter, die eher Jugend als Kultur sind.
Die Schülerband "Frésénie", ich nehme mal an aus der Stadt. Fünf Jünglinge mit derselben Frisur, die Cover-Rock'n'Roll spielen. Hauptsächlich alte Sachen (sowas wie Jumpin' Jack Flash), aber auch neuere Nummern wie z.B. Steady as she goes von dem Seitenprojekt von dem Fuzzi von den White Stripes.
Nach dem erwähnten Song stimmt das Publikum, das hauptsächlich aus ihren Klassenkameraden zu bestehen scheint, natürlich Seven Nation Army an und ich bin überrascht, dass er bis zum Ende nicht gespielt wird. Dafür haben sie dieses komische Mikrofon rausgeholt, mit dem sich der Gesang original 50er-Jahre-mäßig anhört, also scheiße.
Handwerklich betrachtet ist das nicht mal schlecht, der Sänger kann einigermaßen singen und hampelt auch ausreichend albern auf der Bühne rum, die Saiteninstrumente verspielen sich auch nicht, sind aber etwas zu bemüht, wenn es um das cool aussehen geht. Mitreißend ist das ganze allerdings überhaupt nicht.
Nach einer kurzen Pause, in der ich zum Auto gehe um nen Schluck Wasser zu trinken und festzustellen, dass ich vergessen habe, mir was zu trinken ins Auto zu legen, komme ich wieder rein und muss feststellen, dass ich die zweite Vorband (in Frankreich heißt das inter-partie) verpasst habe und die Ramoneurs de Menhirs schon aufbauen. Das sind diese vier Verrückten hier auf der Bühne.
Der Herr mit der lustigen Antennenfrisur und der Herr mit dem stattlichen blauen Iro wechseln sich an Dudelsack und Bombardon ab. Bombardon ist diese kleine Tröte, deren Klang den meisten Menschen schnell auf die Nerven geht, in der klassischen bretonischen Musik aber eine tragende Rolle spielt.
Das hier sind die anderen zwei Bandmitglieder. Im Hintergrund der Sänger, total sachlicher Typ, scheint von Punk nicht viel Ahnung zu haben, wird in der Band wahrscheinlich gebraucht, weil er als einziger die bretonische Sprache beherrscht. Der Kerl hier vorne tritt in traditioneller Kutte auf und spielt dabei Gitarre. Einen Iro hat er sich, aufgrund von Haarausfall wahrscheinlich, in Form von drei Linien auf den Schädel tätowieren lassen.
Was diese vier Mannen hier also fabrizieren ist eine Mischung aus traditioneller bretonischer Volksmusik und 77er Pogopunk. Im Publikum mischen sich beliebig viele Mitglieder jeder denkbaren alternativen Subkultur, auch Garth aus Wayne's World ist vertreten.
Kann man eigentlich Dudelsack spielen, ohne bescheuert auszusehen? Ich glaube nicht.
Das Publikum feiert das ganze hier total ab. Stagediving, wüster Moshpit, nackte Oberkörper, alles da.
Der Sänger, hier im Hintergrund zu sehen, wandert in einem lustigen Tanzstil über die Bühne, wenn er gerade nicht singen muss. Das erinnert stark an die Volkstänze, die die Gallier in den Asterix-Filmen praktizieren, die ja auch unweit von hier gedreht wurden (jedenfalls theoretisch).
Wenn man diesen bretonischen Volkstanz aus den Asterix-Filmen jetzt mit einem normalen Punkkonzert vermischt, könnt ihr euch vorstellen, was ich da erleben durfte.
Revolution, oberkörperfrei!
Der Eindruck, dass der Sänger nur in der Band ist, weil er bretonisch singen kann, verstärkt sich, als er sich bei manchen Songs einfach hinten auf die Bühne setzt und sich ein Handtuch über den Kopf zieht. Starker Typ.
Apropos hinten auf der Bühne: Die gesamte Backline sehen wir hier rechts im Bild: EIN Marshall-Amp (mit 100 kW). Der Rest sind Kisten für Blasinstrumente.
Hier kann man gut zwischen den Bandmitgliedern durchgucken, um den Drummer nicht zu sehen. Gab auch keinen. Hab schon lange keine Band mit Drumcomputer mehr gesehen, ich glaube das letzte Mal We Butter The Bread With Butter.
Hier nochmal die Bläsersektion (die im klassischen Bierschinkenbericht wohl auch anders besetzt ist), inzwischen haben sie Dudelsack und Bombardon getauscht.
Es ist übrigens ziemlich schlechte Luft und ziemlich heiß in dem Laden und wie es bei Punkkonzerten so üblich ist, dauert es nicht lange, bis sich die ersten über das Rauchverbot (gibts auch in Frankreich) hinwegsetzen. Der Gitarrist hat trotzdem erst nach über einer Stunde seine Fellweste ausgezogen.
Einige der Bandmitglieder haben übrigens vorher bei der französischen Punklegende Bérurier Noir mitgespielt, ich weiß nicht welche, aber ich tippe mal, der Sänger war es nicht.
Um die Bühnenansagen kümmert sich auch hauptsächlich der Gitarrist, der am besten weiß, gegen welche Systeme man so wettern kann. Hier sind das meistens Sarkozy und Jean-Marie Le Pen, allgemein geht es aber wie üblich gesellschaftskritisch und gegen alles zu.
"Les Ramoneurs de Menhirs sont un band amateur, mais nous faisons musique avec le c?ur!" Lasst euch das von Google übersetzen.
Der Bandname bedeutet übrigens (für die, die zu faul oder zu gleichgültig für die Übersetzung waren) "die Schornsteinfeger der Hinkelsteine". Die Hinkelsteine sollen wohl den Bezug zur Bretagne herstellen, die liegen hier nämlich tatsächlich herum. Der Teil mit dem Schornsteinfeger ist entweder für mein fremdländisches Gehirn zu hoch oder wurde nur gewählt, weil es ein bisschen klingt wie Ramones.
Publikumsinteraktion gibt es sogar auch, trotz gebrochener Französisch- und nichtvorhandener Bretonisch-Kenntnisse kann ich dieses hochkomplexe Lied mit dem Titel "Oy! Oy! Oy!" mitsingen.
Und alle anderen im Saal auch.
Eine Ansage von der Bühne bestand auch aus einem Wortspiel mit dem französischen Wort für "handwerklich", was sich hier jede Keksbäckerei und jedes Fischrestaurant auf die Fahne schreibt. Im Wortlaut ging es ungefähr so: "Artisanal = Art is anal". Knaller!
Covers haben sie auch ein paar im Gepäck: Neben Neuaufbereitungen von diversen bretonischen Traditionals gibt es auch Bella Ciao und "If The Kids Are United" auf die Ohren.
Bei dem Bild hier musste ich irgendwie an H.P. Baxxter denken. Ja, den von Scooter.
Neben der imposanten Backline sehen wir auf diesem Bild auch die putzigen kleinen Flaschen, in denen in Frankreich das Bier verkauft wird. 0,25 L mit Schraubdeckel, damit man sie auch wieder zumachen kann, wenn man sie nicht ganz schafft und über Nacht im Kühlschrank lagern will.
Nachdem ungefähr zwei Stunden rum sind und sie ungefähr alle Songs ihrer beiden Alben und noch ein paar (neue oder alte) Sachen zusätzlich gespielt haben, ist die Luft im Raum so unerträglich schlecht, dass ich beschließe, mir die Zugabe zu schenken.
Allen anderen im Saal ist das herzlich egal, es wird getanzt und gefeiert was das Zeug hält, vermutlich weil das erste Mal im Jahr irgendwas in der Stadt los ist. Ich schleiche mich raus und halte mich auf dem Rückweg an die größeren Landstraßen, da der Franzose an sich auf Landstraßen schon bei Tageslicht eine ernstzunehmende Bedrohung darstellt.
GEILES WETTER ALDER!! Wollte ich nur kurz loswerden.
Zwei Tage später hab ich mir dann auf einem Flohmarkt für ganze drei Euro diese Schnapstankstelle gekauft. Das wird das Saufen in meinem Wohnzimmer noch etwas weiter professionalisieren.
Hier ist übrigens das Hupen verboten.
Jetzt hab ich den spannendsten Teil des Urlaubs hinter mir und kann mich jetzt wieder der Bestsellerliteratur, dem Sightseeing und den Renovierungsarbeiten am Haus widmen.

Schöne Grüße aus ca. 1000 km Entfernung wünscht euch

Euer Gerd
PS: Ich gehe jetzt mitten in der Nacht (nach neuer Zeit 23:45) in einem 100-Seelen-Dorf auf die Straße und halte das Netbook meiner Mutter in die Luft, nur um euch diesen Bericht zukommen zu lassen. Das nenn ich mal journalistischen Einsatz (und Langeweile!).

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Frau Aal
(Frau Aal)
26.03.2012 17:28
Bericht: Geil. Das ich nicht mitkommen konnte: Scheiße!
Thruntilldeath
(Thruntilldeath)
28.03.2012 00:21
Wie, es bestand die Möglichkeit, da mitzufahren? Och nö ... Aber gut zu wissen, dass Franzosen doch mehr können, als vor der Bühne rumzustehen und sich nicht zu bewegen.
Frau Aal
(Frau Aal)
28.03.2012 12:20
Ey, die können diesen geilen Tanz wo alle einen Kreis bilden, sich einhaken und dann immer nen schritt nach links gehen. Wolltest du über das Konzert nicht n Review geschrieben haben?
Thruntilldeath
(Thruntilldeath)
29.03.2012 03:03
Ja, aber ich bin zu dick und ergo zu faul dafür gewesen. Kreise sind aber 'ne tolle Sache.
Chris

29.03.2012 11:53
Bei lockeren 11 Grad nicht ins Meer gehen -- wie arm ist das denn, Weichei?
Gerdistan
(Gerdistan)
01.04.2012 13:16
Lieber arm dran als arm ab.

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Location:
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11 Boulevard Camille Réaud
29100 Douarnenez (Frankreich)
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