Es passiert nicht oft, dass ich ein Review über ein Album schreibe, dass ich gar nicht besprechen muss. Es passiert eigentlich nur dann, wenn ich will, dass zwischen all dem durchschnittlichen Mist, den kommerzielle Labels dem lieben Fö so zuschicken, halt auch endlich mal was absolut überdurchschnittliches zu finden ist, das aber eben kein promowütiges Label hat.
Amygdala sind eine DIY-Hardcore/Punk-Band aus Texas. Dieses Jahr waren sie auf Europa-Tour, und ich habe gemeinsam mit etwa 15 anderen Menschen in einem Keller in Duisburg ihr erstes Deutschland-Konzert gesehen. Es war überwältigend. Die Sängerin schrie sich im wahrsten Sinne des Wortes die Seele aus dem Leib, die Band spielte, als ginge es um ihr Leben. Ich sehe oft kleine DIY-Konzerte, aber so etwas habe ich vorher noch nicht erlebt. Danach habe ich ihr gratuliert und mich bedankt und alles abgekauft, was sie mir anbieten konnte, u.a. das damals noch ganz frische Album "Population Control", leider nur auf Tape - mittlerweile aber auch auf Vinyl erschienen (erhältlich bei
http://www.reactwithprotest.org/store.php).
Dummerweise besitze ich gar kein Tape-Deck, aber da die Band das Album auf
bandcamp als gratis Download anbietet, konnte ich es mir dann auch anhören. Und da stellte ich fest: Es ging tatsächlich um ihr Leben. "THESE SONGS ARE ABOUT CHILD SEXUAL ABUSE/ PATRIARCHY/INNER MISOGYNY/COLORISM" steht da, und auch wenn ich nicht weiß, was "Colorism" ist (ist Rassismus gemeint?), so ist dieser Hinweis durchaus als Warnung zu verstehen, denn wer keinen Nerv hat für kontroverse, ehrliche und ungemein harte Lyrics, sollte sich mit "Population Control" lieber nicht beschäftigen. Die Sängerin beschreibt ihre inneren Konflikte und ihren unbändigen Hass auf ihre Peiniger mit einer geradezu brutalen Direktheit, und du spürst an jeder Stelle, dass sie es verdammt ernst meint und gar nicht anders kann - weshalb ich jetzt auch nichts weiter zum Inhalt sagen werde.
Zum Glück benötigt man die Texte gar nicht, um zu verstehen, woraus es Amygdala ankommt: Darauf nämlich, der Welt wie sie ist ehrlichen, kraftvollen, authentischen Widerstand entgegenzusetzen, die Vertonung des alltäglichen Kampfes ums (Über-)Leben sowie des Strebens nach einem gemeinsamen Leben in einer Nische, die nicht von Zwängen und Strukturen vergiftet ist, die uns das Leben zur Hölle machen; und anders als viele andere Vertreter des DIY-Undergrounds schaffen sie das durch eine unglaubliche Musikalität geradezu spielend. Man kann von Anarchisten halten, was man will, die Vorstellung der "Revolution von unten" durch Veränderung jedes Einzelnen naiv finden - wenn man "Population Control" hört, glaubt man dran. Die Songs gehen direkt rein, nutzen sich aber trotzdem nicht ab, und es gibt trotz der Kürze der Platte und der Kürze des Kompositionsprozesses (gerade mal ein Monat!) so dermaßen viele geile Breaks und Melodien zu hören, dass ich gar nicht anders kann als vom wohl besten Hardcore-Punk-Album, das ich kenne, zu sprechen. Selbst der Sound ist perfekt, alleine wie die Stimme abgemischt ist, ist ein Wahnsinn.
ALSO: Alle, die mit Hardcore-Punk und Screamo irgendwas anfangen können, ab auf bandcamp, runterladen, entweder für umme oder gegen Spende, und GEIL FINDEN!