Vorwort:
Die Platte Motzen Trotzdem ist schon etwas älter (erschien im April diesen Jahres), der digitale Output noch länger her (2 Jahre) und über einen Teil davon, nämlich den Aperitif 22, hab ich auch schon mal etwas geschrieben. Wie soll dann bitte schön eine Rezi aussehen, die sich nicht wiederholt, nicht veraltet ist, ach und überhaupt...?
Da passt es, dass bei dem Spontanausflug zur Sommerschlacht 2024 Grips und Schaden spielen und sie sich nach einer kurzfristigen Anfrage freudigerweise dazu bereit erklären, vor ihrem Gig zum Interview zu erscheinen. Und dann auch noch vollzählig, super! Das Gespräch wurde aufgenommen und transkribiert, wundert euch also nicht, dass es sich etwas anders liest als ein Email -Interview. Zudem habe ich es gekürzt. Und nach den wenig überraschenden Wahlergebnissen in Sachsen und Thüringen könnten die Eindrücke von der LINXRUCK Tour nicht aktueller sein. Fö fragte mich, ob ich das Ganze nicht lieber separat als Interviewspecial veröffentlichen will, eine sehr gute Frage, zumal der Gesprächsanteil, in dem es direkt um die Platte geht, den kleinsten Part einnimmt, aber dann müsste ich ja immer noch eine Rezi schreiben. Faulheit siegt doch manchmal und deswegen habt ihr jetzt eine etwas ungewöhnliche Plattenbesprechung...
Interview:
Ca. 2 Stunden vor dem Auftritt auf der Sommerschlacht erscheinen Ähliz, Carla, Konny und Mik vor dem Wohngefährt am Feldrand in Wakenstädt und zu sechst plus Hund quetschen wir uns bei Blaubeeren und alkoholfreiem Bier zusammen.
h*einz_zweidreI: Schön, dass ihr es hierher geschafft habt und mitmacht, meine erste Frage geht in die Richtung, dass das Album ja schon im Mai 2022 digital erschienen ist und jetzt 2 Jahre später dann erst als Vinyl. Wie kam es dazu? Wurdet ihr darauf angesprochen, hattet ihr unbedingt Bock das zu machen oder gibt es da auch eine Geschichte zu?
Sterni Ramone: Gab es auf einmal wieder Plastik?
Gelächter…
Konny: Na, wir sind angesprochen worden von Thomas von Tanz auf Ruinen.
Carla: Ist auch bei Bierschinken.
Konny: Ja, genau, und der hatte halt Bock. Der hat irgendwie eine Connecke zu Bands wie Früchte des Zorns aber auch überhaupt ein bisschen zu der Musik, was ja jetzt im Rezensionsschreibgenre nicht so viel vertreten ist. Der hatte halt irgendwie einen Zugang zu uns und dann hat er uns angehauen. Ich glaube, wir wären von selber jetzt nicht so auf die Idee gekommen das zu forcieren oder so.
Mik: Es war halt noch Geld übrig. Das musste verbraten werden…
Gelächter…
h*einz_zweidreI: Und musstet ihr noch irgendwas dafür machen oder konntet ihr einfach das digitale Zeugs so hinschicken und dann wurde das gepresst?
Carla: Bisschen layouten, so, das war es eigentlich ja.
Mik: …Und uns überlegen, welcher Song runter muss, weil das eigentlich alles nicht auf die Vinyl gepasst hätte, also ein Song weniger ist darauf.
h*einz_zweidreI: Ah Ok. Ist mir gar nicht aufgefallen.
Mik: Gut recherchiert.
Konny/ Ähliz: Ah, so gut vorbereitet. Gelächter…
Sterni Ramone: Er (h*einz_zweidreI) sagte auch, er mag nicht alle Lieder...
Mik: Ok, ich glaub wir sollten gehen. Lachen…
Sterni Ramone: ...aber manche dafür sehr.
h*einz_zweidreI: Nächste Frage: Ihr habt ja, als die Platte im April rauskam, eine LINXRUCK Tour in der ostdeutsche Provinz gespielt . Wollt und könnt ihr ein bisschen zum Hintergrund etwas sagen, es gibt ja online auch ein Tagebuch, kann jede*r nachlesen, aber trotzdem, paar Worte dazu, wie es war und welche Motivation dahinter steckte?
Carla: Ja, wir hatten vor eine Tour zu fahren und hatten erst eher so im Westen geguckt, Richtung Aachen. Und dann ist uns aufgefallen, dass ja ziemlich viele Wahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen anstehen. Ja, und dann dachten wir, dass es sich vielleicht ein bisschen mehr sinnvoll anfühlt, da durch die Gegend zu fahren und einen Linxruck zu veranstalten.
Ähliz: Genau und dann hatte uns jemand aus Finsterwalde glaube ich angeschrieben und gefragt ob wir da spielen wollen und wir haben geantwortet: ja wir planen die Tour gerade erst mal woanders hin, aber vielleicht dann mal wann anders und dann kam so die Antwort zurück: OH beeilt euch mal, wir müssen gucken wie lange der Schuppen hier noch steht und dann dachten wir so: hey, vielleicht gibt es gerade irgendwie Wichtigeres, als nach Aachen zu fahren…
Konny: Ich hab das im Zug gelesen und war auf dem Weg zur Probe und wir waren halt gerade dabei diese Tour zu planen und ich hab irgendwie so einen Rappel gekriegt und dachte mir: Oh nee, wir sind in Gedanken eigentlich schon voll dabei und dann war das aber witzig, weil wir uns dann dafür und umentschieden haben und plötzlich war viel mehr Drive in der Tourplanung. Also das war vorher einfach so ein bisschen zäh. Wer macht dieses? Wer macht die Orga da? Und plötzlich hatten alle so ein Feuer am Start, das war gut und hat sich sinnvoller angefühlt.
Sterni Ramone: Und was habt ihr gesehen? Sind die Baseballschlägerjahre zurück oder nicht?
Boa, tiefes Durchatmen
Konny: Hejjeijei. ich fand es krass, was es für Leute gibt, die da irgendwie versuchen die Fahne hochzuhalten, in welchen Umfeldern und Zuständen auch immer, einfach so und ohne das so zu skandalisieren, also mit einer Normalität da einfach weiter Vokü machen, aber dabei schon auch sehen, dass irgendwie vor 10 Jahren 50 Leute da waren und heute eher 15 oder so. Genau, ich hatte das glaube ich mal so formuliert von wegen: Irgendwie ist keine Hoffnung da, aber eine ganze Menge Trotz oder so und ich glaube, so fühlt sich das ein bisschen an. Dass die Leute viel Aufwand betreiben für etwas, wo sie selber nicht mehr so ganz daran zu glauben scheinen, dass das irgendwie die ganz große Wirkung erzielt, sondern wirklich so im ganz Kleinen schauen und sich freuen: cool die Person, die kommt jetzt und das sind dann die Erfolge, ja.
Mik: Teilweise auch krasse Resignation und ganz andere Themen als z.B. in Hamburg in der linken Szene.
Carla: Es gibt auch ein anderes Alltagserleben auf jeden Fall. Also da haben immer Leute erzählt, was sie irgendwie für Scheiße erlebt haben und dass wir bitte dann dies und das machen sollen, um aufzupassen…
Ähliz: Dass es einfach normal ist, dass die Fenster gerade eingeschlagen worden sind vor 2 Wochen und jetzt halt verbarrikadiert sind oder so…
Konny: Ich finde das hat auch einen anderen Impact auf die Konzerte. Also du spielst dann halt irgendwie in Finsterwalde vor 30 Leuten und du hast das Gefühl: ist fucking wichtig und du kannst halt in der Flora vor 200 Leuten spielen und das Gefühl haben: Ok, den Auftritt hab ich morgen wieder vergessen…
h*einz_zweidreI: Und war es im Vorfeld schwierig so an die Orte in der Provinz ran zukommen, diese muss es ja erst mal überhaupt noch geben und dann müssen die das ja auch noch infrastrukturell gestemmt kriegen...
Carla: Ja, nicht immer einfach, weil es manchmal wenig Leute gibt, die die nötigen Sachen machen. Also das kriegt man dann auf jeden Fall mit, dass irgendeine Person abends noch bis um 4 am Tresen steht und dann morgens um 6 die Kinder zum Kindergarten bringt und dann für uns Frühstück macht und uns irgendwie die Tomaten aufschneidet...das ist dann mega krasses Commitment..
Mik: Dabei mögen wir keine Tomaten.
Lautes Lachen
Carla: Aber die Leute hatten voll Bock, dass wir dahin kommen und spielen und das ist ja auch was voll cooles, was auch mehrere Bands machen zum Beispiel viel prominenter, die Beatsteaks oder so, die ja auch eine Osttour gemacht haben… Ja, da gibt es ein paar…
Konny: Und es gibt verschiedenste Orte, aber als ein Sinnbild könnte gemeinsam sein, dass überall so Aufkleber rumhängen mit: Zieh nicht nach Leipzig! Und das finde ich gut, weil es catcht halt und du weißt was gemeint ist, weil es eben nicht safe ist, dass die Orte in der Kleinstadt bestehen bleiben. Für die Leute fühlt es sich bequem an, sozusagen nach Leipzig zu ziehen, weil da irgendwie das Gefühl besteht, dass dort mehr geht. Es ist ein bisschen wie, wenn alle auf der Demo lauter grölen, wenn man durch eine Brücke durchgeht oder so… aber ansonsten hat das nicht viel Impact... also außer auf einen selbst und die Leute... die, die bleiben halten das am Laufen und je nach Ort.. also keine Ahnung, z.B. wenn du jetzt in Neubrandenburg bist, dann hast du vielleicht eher das Gefühl, da können 3 Leute wegziehen und es gefährdet nicht sofort den Ort, aber in Plauen hätte ich das Gefühl, wenn da 2 Leute raus sind, dann kann das sehr, sehr schnell einfach auch den laufenden Betrieb von einer Vokü und einem monatlichen Konzert lahmlegen.
Sterni Ramone: Und könnte man aber nicht einfach irgendwo hingehen mit seinen 10 Leuten und los gentrifizieren und da dann sein neues Leipzig machen?
Carla: Mit 10 Leute mal gucken, aber Immobilien sind sehr günstig, haben wir auch gelernt. Also ja, da braucht man nicht viel Geld.
Mik: Sehr sehr viel, Leerstand auf jeden Fall.
Sterni Ramone: Also würde vielleicht gehen..
Carla: (mit Lachen in der Stimme) Ja dann los.
h*einz_zweidreI: Auf geht’s!
Konny: Jena ist doch so ein Beispiel wo wir irgendwie ausgestiegen sind und dachten so häh, was ist denn hier los, da gibt es irgendwie den Graffiti Shop gegenüber vom Bahnhof und einen Späti und so, wo du so denkst: Ok. Sieht aus wie Friedrichshain, in kleiner, also das gibt es auch...
Carla: ...oder Chemnitz, das ist richtig krass in diesem AZ. Wir sind da angekommen, da war gerade irgendwie eine Kinderzirkusgruppe und dann war da noch Küfa und gleichzeitig noch was anderes, es war so ein Riesending, das sind irgendwie gefühlt über 20 Sozialarbeiter*innen dann rumgesprungen. Es ist halt richtig groß und Konzerträume in verschiedenen Größen. Ja, das war voll heftig und sehr lebendig.
Mik: Irgendwie hat man sich da schon verlaufen und musste fragen: Da links? Ja links, dann rechts und dann frag weiter...
h*einz_zweidreI: Und das macht ja dann doch auch wieder ein bisschen Hoffnung, wenn es dann so Orte gibt. Jetzt vielleicht noch eine letzte Frage. Die digitale Version von Motzen Trotzdem ist ja wie anfangs erwähnt schon eine Weile veröffentlicht, gibt es Lieder die Euch immer noch besonders am Herzen liegen und warum?
Ähliz: Wir haben neulich drüber gesprochen, was wir so für ein Gefühl zu alten Songs haben, ich glaub, da warst du nicht dabei (zu Mik), das war im Auto. Und ich glaub es gibt unterschiedliche Leute, die sagen bei einzelnen Songs: Boa, die könnten auch mal raus aus dem Set. Und das aus den unterschiedlichsten Gründen, glaube ich, ihr hattet da ja irgendwie auch Meinungen auf jeden Fall zu Songs, weiß ich noch, wo ihr etwas dazu gesagt habt, das war aber eher negativ...
Mik: Jetzt wird’s spannend..
h*einz_zweidreI: Soll ich die Aufnahme mal kurz ausmachen?
Gelächter
Ähliz: Nee, lass mal an.
Carla: Also Badewanne spiele ich sehr gerne, nach wie vor, auch weil es auf der Geige einfach Spaß macht zu spielen. An die anderen: Jetzt seid ihr dran!
Ähliz: Schritte im Regen mag ich total gerne, auch weil ich den musikalisch super geil finde. Also einfach ein toller Song, aber da waren die Gefühle auch unterschiedlich zu, glaub ich …
Mik: Ich finde Monster immer noch gut. Weil er so schnell ist.
Konny: Bei mir gibt es Sachen, die langsam mal raus könnten und Songs, die gut auch übrig bleiben können. Das ist auch ein bisschen so, dass wir ja gerade in den letzten Monaten in einem wahnsinnigen Schaffensprozess gewesen sind und im September auf eine Live-Recording-Tour fahren. Dann kommen wir auch nach Mülheim zum Beispiel.
h*einz_zweidreI: Also gibt es bald was Neues?
Konny: Ja genau, deswegen gab es auch das Gespräch, weil einige Sachen sind noch gar nicht richtig ausgespielt und andere Sachen da denke ich: Oh, so langsam haben sie sich aber auch mal gut… und ich bin gespannt, wie sich das bei dieser Recording Tour so zusammen puzzelt, dann wird das ja eher so ein A- und B-Seiten-Gefühl geben von: Ey, die spielen wir auf jeden Fall aus dem neuen Set, die spielen wir auf jeden Fall aus dem alten Set, aber 2 Stunden können wir auch nicht spielen und dann fallen so Sachen raus… Ich bin sehr gespannt darauf.
h*einz_zweidreI: Super. Also meinerseits war es das dann schon. Hat Spaß gemacht und ich schau mal was ich daraus bastel. Vielen Dank euch und ein schönes Konzert nachher!
Epilog:
Nach harter Recherche kann ich mitteilen, dass das Lied Moral, Koile! nicht Platz auf der Platte gefunden hat. Zudem möchte ich das Layout und die Zeichnungen von Ähliz und Carla hervorheben. Auf dem Cover (von Ähliz gestaltet) sind Vorschlaghämmer und Geigen zu sehen. Was für ein großartiger Gegensatz: Hier werden Wucht und Zartheit vereint. Das 4-seitige Inlay der Scheibe besteht aus den Texten, die wiederum durch bunte Zeichnungen von Carla illustriert wurden. Aus Worten werden Bilder, voll Gut! Ihr seht ich bin begeistert, Objektivität my ass!
Meine Anspieltipps: Hanau, Schritte im Regen, Grips und Schaden, Schweine und Angst