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Destruktiva: Stammtisch Flutwelle, Luxul, Coma Cluster, Der Verlorene Faden, Rhizome Weaver, 15.02.2025 in Mülheim/Ruhr, AZ Mülheim - Bericht von der Redaktion

Destruktiva, 15.02.2025 in Mülheim/Ruhr

Fö: Aus der Reihe "öfter mal was Neues" heute das Special "öfter mal was Noise". Die Neugierde treibt mich heute zur "Destruktiva", eine Veranstaltung die ich bisher nur dem Hörensagen nach wahrgenommen habe und eigentlich immer wusste, dass das nichts für mich ist. Ich kann mich damit anfreunden, wenn Bands Elemente des Noise-Rock in ihre Musik einbetten, aber diese Aussage ist für die echten Noise-Ultras wahrscheinlich ein ähnlicher Faux-Pas wie meine Klassenkameraden früher, wenn sie meinten, dass sie ja auch Punk hören, wie zum Beispiel Limp Bizkit. Noise ist das vertonte "Ist das Kunst oder kann das weg"-Mantra. Noise ist, was im Kopf deines bettlägerigen Großvaters vor sich geht, wenn du ihm Slayer auf einem defekten Kassettenrekorder vorspielst. Noise ist eigentlich der defekte Kassettenrekorder, bloß dass dort statt einer Kassette ein Presslufthammer eingelegt ist. Noise wird zwar mit Oi geschrieben, ist aber tatsächlich NOCH unmusikalischer als die Proberaumaufnahme einer thüringischen Rumpel-Oi-Kapelle. Ich habe ja schon mit einigen Gangarten des Punk so meine Probleme, wenn dort weitestgehend auf Melodie verzichtet wird, aber im Vergleich zu Noise ist Crustpunk wie ein von Lady Gaga vertontes Mozart-Werk. Aber gut, noigierig bin ich ja trotzdem.
Beim Betrachten meiner Fotos fällt mir auf, dass ich die Ausstellung gar nicht gewürdigt habe: Also, bei der Destruktiva werden nicht nur als Musik betitelte Geräusche dargeboten, es gibt auch ganz "klassische" Kunst um die Nerven und Sinne zu beruhigen - also irgendwelche Gemälde, Collagen, Kunstdrucke. Manche sogar mit Farbe, was für mich die größte Überraschung des Abends darstellt.
Susi: Anders als Fö würde ich mich wohl gewisser Maßen als Noise-Connaisseurin bezeichnen. Vielleicht ist aber auch Liebhaberin dieses Genres treffender - denn ich genieße es mich gerade ohne viel Wissen oder Kontext in derlei Abende rein zu schmeißen und mich überraschen zu lassen. Auch wenn ich nicht das erste Mal die Destruktiva besuche, hoffe also auch ich - alla Wortwitz von Fö - auf "öfter mal was Noise".
Fö: Okay, erster Act. RHIZOME WEAVER. Da ist ein Tisch, darauf eine Blechplatte, und an die sind irgendwelche Elektroden oder so angeschlossen. Der Protagonist kloppt darauf rum, schiebt Dinge oder sich selbst über die Platte, das Ergebnis ist unbändiges Dröhnen aus den Boxen und eine nicht zu leugnende Faszination für diese Art von Performance, die eigentlich nur Fragezeichen zurück lässt.
Susi: Hast du dich nicht mit der Selbstzerstörung und Verletzlichkeit der darstellenden Person konfrontiert gesehen? Als der Kopf immer wieder und fast schon gleichmäßig auf den Tisch geknallt wurde, leide ich schon sehr mit.
Fö: Ich war übrigens mal mit diesem Menschen im Kino, das war eigentlich ganz harmonisch. Aber das nur am Rande.
Susi: Hey, ich auch.
Fö: Irgendwann schüttet er einen Sack Kohle (oder waren es Grillbriketts?) aus und zertrümmert die Stücke. Ein Stück Kohle steckt er sich in den Mund und kaut genüsslich(?) darauf rum. Und ich dachte, ich hätte ungewöhnliche Hobbys.
Susi: Damit sollten wohl auch bei dem Publikum alle Sinne angesprochen werden, denn der herumwirbelende Kohlenstaub breitet sich sofort in meiner Nase und auf meiner Zunge aus.
Für die, die mehr auf haptische Reize stehen gab es am Ende der Performance noch das Angebot, sich ein Stück Kohle mitzunehmen. Nett.
Fö: Dann DER VERLORENE FADEN. Auch hier wieder ausschließlich Lärm, auch diesmal wieder mit einem Tisch (scheint ein wichtiges Utensil zu sein). Die Töne kommen von diversen Effektgeräten und Mikros, dann liegt da noch ne Bassgitarre und ein paar Becken, alles wird mit Hammern, Schwämmen und anderen obskuren Gegenständen bearbeitet. Diesmal frage ich mich wirklich, was das alles soll. Keine Struktur, kein roter Faden, aber damit hätten wir wohl auch die Frage nach dem Namen des Projektes gelöst.
Susi: Ich glaube das alles soll dich genau mit der Frage zurücklassen, was das alles soll.
Susi: Hier ist ganz viel los.
Noisiges Dröhnen in leicht abgewandelten Facetten, vermutlich durch die besagte Bassgitarre und allerlei Effekt verursacht - dazu Beckenschläge und anklagendes Geschrei.
Spätestens als eine Bierflasche zerschlagen wird und Splitter durch Teile des Raumes fliegen, wird nochmal der immersive Charakter der Veranstaltung untermalt.
Also ich komme so langsam an.
Fö: Ey die Hunde!
Fö: Die anschließende Pause wird überbrückt durch einen Kurzvortrag zum Thema Noise, überlagert durch Noise. Eine so treffende und fundierte Analyse zum Thema hätte ich hier nicht erwartet und hänge gespannt an den Lippen des Redners. Die zugehörige Präsentation dient der visuellen Anreicherung, wäre aber ohne die ergänzenden Ausarbeitungen des Vortragenden nur halb so erleuchtend gewesen. Danke für die wissenschaftliche Ausarbeitung, ich denke jetzt habe ich Noise endlich in Gänze verstanden!
Fö: Okay, so gerüstet geht es weiter mit COMA CLUSTER. Auch hier ist wieder der Tisch das tragende Element sowie ein Sammelsurium an Drehknöppen. Außerdem eine Leinwand hinter dem Duo, auf der passende Bilder projiziert werden. Ich bilde mir sogar ein, dass die Projektion auf die dargebotenen Geräusche abgestimmt ist, was auch wieder faszinierend ist. Das hieße ja, dass hier nicht einfach nur wahllos Geräusche fabriziert werden, sondern wir es mit ausgearbeiteten Songstrukturen zu tun haben. Einfach unfassbar!
Fö: Desweiteren werden hier auch Stimmen eingesetzt. Ich weiß nicht ob man das als Gesang bezeichnen sollte, aber ich tu es einfach mal. So rein vom "musikalischen" her bisher der eingängigste Act des Abends, sag ich mal. Trotzdem merke ich, dass mich das irgendwie ermüdet. Ich hätte auch noch tiefgehende Fragen zu Sinn und Zweck des Ganzen, aber die hätte ich vielleicht in der Fragerunde zu Oles Vortrag stellen sollen. Habe ich aus Angst, von wütenden Noise-Fans mit Grillbriketts beworfen zu werden, gelassen.
Susi: Diesmal stehe ich weit hinten im gut gefüllten Konzertraum. Ein Blick auf die beiden Künstler*innen kann ich daher nicht erhaschen. Die sphärisch dröhnenden Sounds und die Visuals ziehen mich jedoch in den Bann, bis Szenen einer Augen-OP die Projektionsfläche gänzlich ausleuchten. Puh.. mein persönlicher Alptraum. Absolut schlimm. Ich halte mir die Augen zu und bitte die Person neben mir mich zu informieren, sobald das Grauen vorbei ist.
Habe echt kein Problem mit Blut, Nadeln oder offenen Wunden-- aber bei Augenverletzungen hört der Spaß auf!!!!
Fö: Laut Zeitplan ist das hier LUXUL. Kein Tisch diesmal, was wieder mal zeigt, dass man sich im Noise einfach auf gar nichts verlassen kann. Es gibt wieder Geräusche, eine Rolle spielt wohl auch dieses Streichinstrument und es wird sehr viel geschrien, aber eigentlich bin ich schon gar nicht mehr aufnahmefähig.
Susi: Mich faszinieren die Elemente die LUXUL verwendet. Neben der Geige findet auch eine Noisebox Verwendung, die mich an einen Hybriden aus Kalimba und einem Igel erinnert.
Immer wieder werden die einzelnen tongebenden Fragmente kurz herausgestellt und dann wieder in einer breiten dröhnen Masse miteinander verschmolzen. Dazu das monotone sehr hohe Gekreische der darstellenden Person - abgenommen durch die Saiten der Geige. Toll!
Fö: Mein Kopf ist derweil mit anderen Gedanken beschäftigt. Kleiner Exkurs, um euch daran teilhaben zu lassen: Ich war ja mal in dieser Band "Betrunken im Klappstuhl", von der ich gar nicht weiß ob es uns noch gibt. Das war so richtig schlechte Musik. So richtig. Ich hatte nie Bock, für uns das Booking zu machen, weil ich alle Leute, die uns für ne Show gebucht oder gar unsere Shows besucht haben, für dumme Idioten gehalten habe. Haben Noise-Künstler*innen diese Form von Selbstzweifel auch? Gibt es Noise-Imposter oder sind die alle echt überzeugt davon, dass ihr Werk es wert ist, mit der Öffentlichkeit geteilt zu werden? Also, das soll jetzt nicht speziell an Luxul gerichtet sein, die Frage habe ich mir so ganz allgemein gestellt.
Fö: Kommen wir zum finalen Act des Abends: STAMMTISCH FLUTWELLE. Die haben den Tisch schon im Namen und derer zwei auf der Bühne - ja, diesmal wird sogar die Bühne genutzt. Allerdings nicht vom Frontmenschen, der kniet vor einer beleuchteten Schrift und trägt einen okkulten Text vor, während der Rest der Band halt, naja, Geräusche macht. Wieder in der Form, dass da verschiedene Knöpfe und Pedale vor ihnen rumstehen.
Susi: Die Stimme des Frontmenschen ist stark verzerrt, sodass es schwer fällt inhaltlich einzusteigen - aber es scheint als würde etwas bedrohliches heraufbeschworen.
Susi: Das scheint sich zu bestätigen.
Nun gehen Funksprüche durch ein kleines Funkgerät ein, welche verstärkt durch ein Megaphon in den Raum gegeben werden.
Fö: Von der Performance her wohl die beeindruckendste Darbietung des Abends. Die Outfits wecken eher finstere Assoziationen. Texte versteht man nur bedingt, aber so viel bleibt hängen: Jugendsprache ist nicht unbedingt ihr Ding. Zwei der "Musiker" wechseln irgendwann dazu über, zu trommeln. Geil! Das weckt auf jeden Fall meine Musik-Synapsen. Wie wohltuend es doch sein kann, irgendwas zu hören, das man getrost als "Rhythmik" bezeichnen kann. Irre!
Susi: Auch beeindruckend: Die alte Blechmülltonne, an dessen Griff Saiten bis zum Boden gespannt sind und die entsprechenden mit einem Bogen gespielt wird.
Fö: Ansonsten, ja, äh, also, da spielte auch ne Schale weißer Farbe ne Rolle, mit der der besagte Frontmensch sich außen und innen anmalte. Es gab sehr viele obskure Geräusche und Gesten, über alles hängt son leichter Vibe von Dämonenbeschwörung. Ganz schön verrückt.
Susi: Der weiß angemalte Frontmensch krabbelt durch die Menge ruft Unverständliches durch das Megaphon. Dadurch dass die umgebenden Menschen den Klang der Stimme abdämpfen, ergibt sich hier nochmal eine interessante Klangkulisse.
Susi: Wieder nähe Bühne angekommen, greift besagte krabbelnde Frontperson einen Menschen aus dem Publikum am Kragen und zieht diesen zu Boden. Dieser lässt sich auf die Rangelei
 ein, wobei sich die weiße Farbe auf den zuvor nichtsahnenden Zuschauenden verteilt.
Hier ist ja heute was los.
Fö: Abschlussfazit meinerseits: Neugierde befriedigt, insgesamt wirklich ganz spannend so ein Abend. Aber es wird noch 1-2 Jahre dauern, bis ich wieder bereit bin, auf so eine verstörende Veranstaltung zu gehen.
 Susi: Also ich fands super und freue mich schon auf das nächst Mal. Wie schön, dass du mitgekommen bist Fö :)


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Der verlorene Faden

24.02.2025 13:39
Lieber Fö, um Deine Frage bzgl Selbstzweifel zu beantworten: ja.

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