Amyl & The Sniffers, Party Dozen, 19.11.2024 in Köln, Carlswerk Victoria - Bericht von der Redaktion
Amyl & The Sniffers, 19.11.2024 in Köln
„Halt! Stehen bleiben!“, ist das letzte, was ich am Subrosa höre, bevor ich nach Chefs Geburtstag die Flucht ergreife. Nachdem der Chef an seinem Geburtstag von meinem Geschenk ausgeknockt wurde, bricht für mich eine Welt zusammen. All meine Träume, meine Karriere beim bierschinken, meine eigene bierschinken-Regenjacke, mein eigenes Büro sehe ich vor meinem inneren Auge zerplatzen, als ich mich gerade noch so in die Büsche im Blücherpark retten kann. Hier hat der Chef mit mir damals meine Rattenphobie besiegt, so scheint es. Schlagartig packt mich meine Angst wieder vor dem Rattenkönig von Dortmund. Panik macht sich breit, als ich es links im Gebüsch neben mir rascheln höre. Was soll ich bloß tun? Die Gedanken schießen nur so durch meinen Kopf. Erstarren und dabei Gefahr laufen, vom Rattenkönig angeknabbert zu werden? Weglaufen und dabei in jedem Falle von ihm gesehen zu werden? Völlig panisch merke ich, dass das Geräusch immer näher kommt. Ich spüre den Atem in meinem Nacken. Ich warte auf den alles erlösenden Biss. Schließlich habe ich den Chef auf dem Gewissen und seine Party ruiniert. Das ist meine gerechte Strafe. Doch statt eines Bisses spüre ich ein feuchtes Stupsen im Nacken. Fö, bist du es? Als ich mich vorsichtig umdrehe, sehe ich jedoch nicht das breite Grinsen vom Chef. Es ist das Pony, das sich vor lauter Schreck auch in den Park gerettet haben muss. Ich bekomme seine Zügel zu fassen, nehme Anlauf und schwinge mich auf den Rücken des Pferdes. Nichts wie raus aus der Stadt, denke ich, während im Hintergrund der Mob tobt. „Halt! Stehen bleiben!“, vernehme ich trotz des Windes, der durch meine Ohren pfeift. Es sind die Stimmen von Peter Punk und Wockel dem Wicht… Die Vorfreude ist groß, hat das neue Album Cartoon Darkness bei mir bereits gepunktet wie man in meinem
Mit letzter Kraft erreichen das Pony und ich die Stadt Köln. Ich kann mich kaum noch in der Mähne festhalten, als das Pony mitten in der Stadt zusammenbricht. „Rette dich!“, sind seine letzten Worte. Doch in der Rückschau bin ich mir nicht mehr sicher, ob es „dich“ oder nicht eher „mich“ gerufen hat. Der Verfolgungswahn treibt seine Spielchen mit mir. Überall erkenne ich Peter und Wockel. Sind sie mir auf den Spuren? Als ich am Carlswerk vorbeikomme, sehe ich bereits von Weitem eine lange Schlange. „Nichts wie rein in die Anonymität!“, murmle ich leise vor mich hin. Die Deckung der Schlange wird mir guttun. „Vielleicht gibt es noch etwas zu sehen“, denke ich, noch während mich der Schlag trifft. Zwei Männer auf Pedalos fahren an der Schlange vorbei. „Coole Fahrzeuge!“, will ich gerade ausrufen, als ich mit Schrecken Peter und Wockel erkenne. Schnell ziehe ich mir die Jacke ins Gesicht und husche durch den Eingang ins Carlswerk.
Drinnen ist es unglaublich voll. Die Luft ist stickig. Der Geruch nach abgestandenem Bier übertüncht alles. Auf dem klebrigen Boden begebe ich mich ins Getümmel. Schnell weg von der freien Fläche. Oben auf der Bühne spielt eine Band namens Party Dozen, wie man mir zuflüstert. Schlagzeug und Saxophon sind live, der Rest läuft vom Band. Das ist so gar nicht meine Welt. Saxophon wirklich überhaupt nicht mein Instrument. Dazu die dunkle Stimmung und das eintönige Licht. „Das hat alles nichts“, denkt der Norddeutsche in mir. Nach dem Auftritt organisiere ich mir schnell ein Bier und dränge mich weiter durch die Leute nach vorne. Als Vorband schickt sich heute das Duo PARTY DOZEN aus Sydney an, das ausverkaufte Haus in Wallung zu bringen. Mich holt ihre noisige, groovige Impro-Musik, die nur aus Saxophon-Klängen und Drums besteht, eher nicht so ab.
Irgendwann erreiche ich einen Ort vor dem Mischpult, an dem ich mich sicher und unbeobachtet fühle. Von hier aus habe ich außerdem alles gut im Blick. Über mir pfeift ein riesiger Lüftungskanal und bläst kalte Luft in die Halle. Jetzt erst einmal entspannen und Amyl and the sniffers beobachten.
Vorgestern noch einen Artikel in der Süddeutsche gelesen, zum Glück hinter der Paywal. Kaum auszumalen, was los gewesen wäre, wenn der Artikel dort alle frei zugänglich gewesen wäre. Gegen 21 Uhr geht es dann nach einer kurzen Umbaupause mit der Band um Amy Taylor weiter. Schön, dass hier nicht getrödelt wurde, es ist immerhin Dienstag und alle wollen zeitig ins Bett.
Ich darf die Band heute zum ersten Mal sehen und bereits nach dem ersten Song bin ich hin und weg. Diese Energie der Band und ganz besonders von Amyl ist unbeschreiblich. Wie eine Löwin läuft sie auf der Bühne von einer Ecke zur anderen und ballert ihre Zeilen in die Menge. Wild gestikulierend, kreischend, schreiend, teilweise schon rappend, wunderschön singend; es ist alles dabei. Ich glaube der Opener war „Doing in Me Head“ und damit ein Song, der alles gerade gesagte in einem verkörpert. Leider fallen mir Block und Stift in der prall gefüllten Halle zu Boden, ein Bücken ist nicht möglich, daher kann ich nicht mehr nachhalten wann welche Songs gespielt wurden. Das Publikum ist heut sehr gemischt, von Punks bis Normalos alles dabei. Auffallend viel Frauen bzw. weiblich gelesene Menschen finden sich zudem unter den ca. 1500 Leuten in der Halle.
Auch die unfassbaren Gitarrenmelodien tragen mich durch diesen Abend. Wirklich jeder Song ist live ein Hit. Alles untermalt von einer Wand aus Bass und Salven auf dem Schlagzeug. Heute ist einfach fucking Dienstag und ich verspüre unglaubliche Lust, mich zum australischen Pub-Punk volllaufen und durch das Pogogetümmel schubsen zu lassen. Aber ich halte mich gerade noch so zurück. Was vielleicht auch an den Bierpreisen von 5 Euro für ein kleines Bier liegen könnte. Es gibt auf jeden Fall eine Menge von Cartoon Darkness zu hören. Ich erinnere mich an "Jerkin", "Me & The Girls", "Pigs", "U Should Not Be Doing That", wie vorher schon vermutet bringen sie "Tiny Bikini", "Chewing Gum" und "Its Mine"
Absolutes Symbolbild des heutigen Abends. Die Hits von den letzten beiden Alben wie "Some Mutts Can't Be Muzzled", "Guided By Angels" oder "Security", "Got You" dürfen natürlich auch nicht fehlen. "Maggot" und "Choices" wurde glaub ich auch gespielt. Zum Ende gabs außerdem das recht ruhige "Knifey". "Hertz" spielen sie dann als letzten Song, bevor sie noch einmal für eine Zugabe zurück kommen.
Sehr gut gefällt mir heute die Visualisierung auf der Leinwand, die in cooler 80er Optik das zeigt was am sinnigsten ist. Nämlich Amy und die Band in Aktion. Auch dass die Leinwand hinter der Band und nicht an den Seiten ist, ist von Vorteil. So schweift der Blick nicht vom hauptsächlichen Geschehen ab und die Bilder auf der Leinwand verschmelzen mit der Bühnenperformance zu einem Ganzen!
Amyl spielt mit den Bildern eines Fitnessvideos aus den 80ern. Diese Frau wird nicht müde und zieht ihre sensationelle Performance durch. Mit dem neuen Album hatte ich anfangs durchaus Schwierigkeiten. Mir fehlte zu sehr das Tempo und die Rauheit der vorherigen Platten. Live werden alle Zweifel beseitigt. Heute Abend zieht die Band mich auch mit den neuen Songs völlig in ihren Bann. Amy ist wieder in Top-Form, dauerhaft in Bewegung und reißt dabei ein Aerobic Programm vom Feinsten ab und präsentiert sich erneut als Urgewalt irgendwo zwischen BLONDIE, einer weiblichen Version von IGGY POP und WENDY O. WILLIAMS. Was für eine wahnsinnige Power diese Frau doch hat. Beeindruckend! Ansagen spart sie sich leider größtenteils. Kurz sagt sie mal was zum abgefuckten Zustand der Welt. Hier hätte ich mich durchaus über ein paar Worte zu den folgenden Songs gefreut.
Ich finde, zum Teil hört sich der Background-Gesang der anderen Drei an wie von Lawi und die Biernüsse. Der Rest der Band ist auch "on fire". Man merkt den vier einfach an , dass sie sich gerade auf dem Zenit befinden und dies sichtlich genießen. Es sei ihnen von ganzem Herzen gegönnt.
Ich liebe es, wie sich Amys Haare immer mehr selbständig machen, ihre Frisur im Eifer des Gefechts zusammenfällt und ihr immer wieder unvorteilhaft im Gesicht herum hängt. Wild! Ich bleib dabei, die Band ist eine Wucht, die wie man sieht über die Szene hinaus begeistert. Außerdem ist es eine Band, deren nicht gerade subtile Message ankommt und deren Geschichte mit Sicherheit noch nicht aus erzählt ist. Durch und durch stark!
Nach ca. einer Stunde und zwanzig Minuten ist der ganze Spuk wieder vorbei. Ein angemessener Rahmen wie ich finde, viel länger hätte ich es in der Enge vorm Mischpult eh nicht ausgehalten und ein Großteil der Hits wurde auch gespielt. Wir trinken noch ein Bier und schauen ca. 300 Menschen dabei zu, wie sie 30 Minuten und mehr brav in der Schlange stehen um ihre Jacke abzuholen und verschwinden dann im Silberpfeil durch die Nacht gen Dortmund.
„Was darf ein Bühnenbild eigentlich abliefern?!“, denke ich, als plötzlich über mir die Klappe des Lüftungsschachts aufgestoßen wird und sich plötzlich mehrere Leute von der Decke abseilen. Noch völlig in Trance von dem wahnsinnig guten Konzert realisiere ich viel zu spät, dass der Zugriff mir gilt. Sie haben mich entdeckt! Ich erkenne Peter, Wockel, Jenny, Sabine und den Doc. Fös A-Team-Verschnitt vom bierschinken, das von ihm ins Leben gerufene B-Team, befindet sich abwärts zu mir. Während ich noch mit meinen Fluchtmöglichkeiten in der vollen Halle hadere, fällt Peter beim Ausklinken aus dem Karabiner plötzlich eine alte Windel seines Sohnes aus der Tasche. Der bestialische Gestank verbreitet sich unmittelbar in der Halle. Panik bricht aus. Die Menschen stürmen umher auf der Suche nach dem Entkommen vor diesem Geruch, der einem*r die Nasenhaare verätzt. Das ist meine Chance zur Flucht. Ich lasse mich fallen und krabbele über den Boden. Grüner Nebel macht sich hier unten breit. Meine norddeutsche Vergangenheit auf dem Land hat bereits jeglichen Sinn für Gestank in meiner Nase zerstört, sodass ich mir hier unten ungestört einen Weg nach draußen freikrabbeln kann. Draußen angekommen springe ich auf eins der Pedalos des B-Teams. „Ich muss mir dringend eine sichere Lösung überlegen“, denke ich, während ich mit quietschenden Reifen das Gelände verlasse. Noch einmal werde ich Fös Scherg*innen rund um das B-Team nicht entkommen.